Die wunderliche Reise von Oliver und Twist

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• Abenteuer
• Arbeitswelt
• Historisches

Teaser

Der Waisenjunge Oliver flieht 1856 von Edinburgh nach London, begleitet von einem Dackel namens Twist, dessen Gedanken er versteht und der zu seinem Herrn zurückwill, dem Dichter Charles Dickens. Die wunderliche Reise der zwei ungleichen Kumpane bietet neben ihren Abenteuern einen Querschnitt durch englische Literatur und Geschichte.

Beurteilungstext

“Sophie’s Welt” jetzt also für englische Literatur? Fast könnte man es meinen. Aber dieses Buch ist mehr und vor allem ist es eigenständig. Es muss niemanden nachahmen, weil es vor kreativer Fülle selbst fast überbordet. Zwei Erzählebenen wechseln sich ab, die abenteuerliche Flucht von Schottland nach London und die auf den geplanten Selbstmord des Dichters zusteuernde Verzweiflung über den Verlust seines Hundes bei Dickens in London. Bis diese beiden Linien sich aber treffen, passiert nicht eben wenig. Dabei ist es ein hübscher Kunstgriff, die literarisch gern verwendeten “sprechenden Tiere” eben nicht sprechen zu lassen, sondern Kindern und Betrunkenen zuzusprechen, dass sie die Gedanken dieser Tiere auch ohne Mundbewegung erfassen können. Dass dabei herauskommt, dass ein großer Teil der englischen Literatur mehr von deren begabten Hunden als von den eigentlichen Schriftstellern stammt, würde diese sicher erstaunen, ist aber für hundeliebende Kinder leicht vorstellbar.
Während der eher ruhigen Phasen ihrer Reise lernen Oliver und Twist (das entsprechende Dickens-Werk ist hier schon geschrieben!) zum Teil persönlich, zum Teil in den klugen Berichten des Dackels viele Säulen britischer Literatur kennen, von Dickens selbst über Wilkie Collins und Lewis Carroll bis zu Sir Walter Scott und Lord Byron. Verflochten in die literarischen Exkurse ist eine Menge Information über britische Geschichte, seien es Thronstreitigkeiten, Robin Hood oder der Bau der ersten Eisenbahn. Den Schwerpunkt der historischen Betrachtungen bilden aber Schilderungen aus der Arbeits- und Sozialwelt der frühen Industrialisierungsjahre, über Kinderarbeit und Armenhäuser, über Krankheit, Opiumsucht und Bergwerkstechnik, über Gefängnisse und den Müßiggang der Oberschicht. Da der Waisenjunge Oliver dabei genau so wenig Vorkenntnisse besitzt wie wohl die meisten Leser, kann der kluge Dackel seine Erläuterungen “an den Mann” bringen, ohne allzu oberlehrerhaft zu wirken.
Reminiszenzen an literarische Gestalten wie “die Frau in Weiß” oder natürlich “Oliver Twist” oder die kleine “Dorrit” machen Appetit, sich neben den Informationen über ein relativ unbekanntes Land und seine Geschichte auch einmal den Originalen seiner Literatur zu widmen und so schließt sich der Kreis wieder Richtung “Sophie’s Welt”, aber ich betone nochmals: Dies ist kein Plagiat, das Buch ist originell und originär und kann auch erwachsenen Lesern nur empfohlen werden.
Abschließend noch ein Satz zu den Illustrationen. Diese sind zwar ganz hübsch in ihrer Bleistiftschlichtheit, erinnern sehr an das, was man von Olivers Schwester Anne erwartete, die gegen Buchende als zeichnerisch begabte Retterin auftaucht (abgesehen von ihren vorherigen stummen Gastspielen als “Frau in Weiß”), aber da die Erzählung selbst sehr farbig-plastisch geschrieben ist, scheinen Illustrationen nicht unbedingt notwendig. Wichtig allerdings sind der optisch anziehende Titel und die Übersichtskarte auf dem Vorsatzblatt, die das Verständnis erleichtert.