Das Schicksal ist ein mieser Verräter

Autor*in
Green, John
ISBN
978-3-446-24009-4
Übersetzer*in
Zeitz, Sophie
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
285
Verlag
Hanser
Gattung
Ort
München
Jahr
2012
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
16,90 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Eigentlich eine ganz normale Liebesgeschichte zweier humorvoller und sprachgewandter Jugendlicher, wäre nicht der Krebs allgegenwärtig. Die beiden und ihr gemeinsamer Freund lernen sich in der Therapie kennen, verlieben sich sehr zögerlich - jeder weiß, dass er nicht mehr lange zu leben hat. Das hindert sie nicht, sich pragmatisch und gewitzt mit dem Leben und dem danach auseinanderzusetzen. Und mit dem Wissen, zurück zu bleiben und andere zurücklassen zu müssen.

Beurteilungstext

Die einzig Normalen scheinen hier die Kinder zu sein: Sie flaxen und amüsieren sich über die Erwachsenen, sie denken über das nach, was das Leben ist, was nach dem Tod kommen könnte, wie schön das Leben ist, wie autark sie sein möchten. Nur die Erwachsenen, die Eltern, sind die, die der Situation, ununterbrochen den Tod vor Augen zu haben, kaum gewachsen sind. Aber das ist Lesern und Protagonisten klar: für Eltern gibt es nichts Schlimmeres als ihre Kinder sterben zu sehen. Hazel ist 16, hat etliche Chemotherapien hinter sich und kann nur noch mit einem Sauerstoffgerät, das sie ständig mit sich herumschleppen muss, atmen. Ihre Mutter hat ihren Beruf aufgegeben und ist nur noch für die Tochter da. Und sie vereinnahmt sie so, dass ihrer Tochter das zuviel wird. Welche Jugendliche möchte schon permanent unter Kontrolle stehen? Gleichzeitig ist Hazel, der Ich-Erzählerin, klar, dass sie ohne ihre Mutter gar nicht mehr bestehen könnte. Sie weiß, sie braucht deren Hilfe und will sie gleichzeitig nicht. Die Mutter drängt sie, in die Selbsthilfegruppe zu gehen. Hazel sträubt sich eigentlich dagegen, geht dann doch, amüsiert sich über den Therapeuten, der immer von seinem überstandenen Hodenkrebs erzählt (und Hazels Bericht verdeutlicht in humorvoller Distanz, wie wenig sich Jugendliche mit der Sexualität Erwachsener befassen wollen! Auch nicht mit der Nichtsexualität.), und sie lernt Isaac kennen, der Augenkrebs hat, dessen Augen wegoperiert werden müssen und den einbeinigen Augustus, der vor seiner Krebsamputation ein hoffnungsvoller Basketballer war.
Dieses Trio ist so lebendig, humorvoll, auch sarkastisch, dass sie ein ganzes Buch voller lustiger und überbordender Ideen und Aktivitäten füllen könnten. Sie setzen sich mit allen Bereichen der Welt Jugendlicher auseinander, stehen voll im Leben - drohte ihnen nicht allesamt der Tod in kurzer Zeit. Und sie setzen sich erfolgreich ab gegen die Kitschwelt der Erwachsenen, gegen die Spruchweisheiten, die Augustus´ Eltern überall in ihrer Wohnung hängen haben, gegen die Sentimentalität Hazels Mutter - ohne sie zu diskriminieren. Die drei amüsieren sich, aber nicht auf Kosten Dritter - der Leser lacht mit, aber nicht über jemanden.
Hazel macht sich keinerlei Illusionen, sie weiß, dass sie keine Heilungschancen hat, Isaac muss sich in dem Leben als Blinder zurechtfinden, ohne sicher zu sein, dass der Krebs nicht weiter um sich greift, Augustus hat seit seiner Amputation scheinbar alles überstanden, stirbt aber als Erster, weil sich in seinem gesamten Körper Metastasen des aggressiven Krebses gebildet haben. Zuvor aber schon wissen sie um ihr Schicksal, eine ihrer Aktivitäten ist die Totenrede auf den anderen. Isaacs Rede ist gebrochen, aggressiv und illusionslos - und eine Liebeserklärung an seinen Freund (nach Augustus´ Tod hält er sie noch einmal, für die Erwachsenen zensiert er sie angemessen). Hazel kann ihre Rede nicht zu Ende führen, aber anders als Isaac, der im Ernstfall nicht weiter reden kann, hält sie ihre Rede bei Augustus Beerdigung und weist alle verquasten Erwachsenenvorbehalte in die Schranken.
Das hindert das Pärchen nicht, sich mit einem Krebsbuch zu beschäftigen, das sie überaus stark beeindruckt. Sie schreiben dem Autor, sie setzen durch, dass sie ihn in Amsterdam besuchen können und werden von dem alternden Alkoholiker völlig desillusioniert - finden dadurch gerade aber sich. Gegen alle Kontrollmechanismen der Eltern (beider Väter brechen jedes Gespräch sofort ab, wenn nur am Horizont so etwas wie das Thema Sexualität zu erscheinen droht) gelingt es ihnen, miteinander zu schlafen - sie haben wie alle Jugendlichen gelernt, sich ihren Freiraum zu schaffen. Und Green ernüchtert und amüsiert zugleich mit seiner grotesken Beschreibung, wie bei jeder Umarmung die beiden sich mit ihren Schläuchen verheddern.
Das Problem bei einem Krebstod ist, man merkt, es geht zu Ende und man hat keine Zeit mehr, das abzuschließen, was man noch für unbedingt notwendig hält. So geht es Augustus, er wollte die Fragen, die für beide offen bleiben, beantworten. Er findet einen Weg, kann ihn aber nicht vollenden. Aber Hazel ahnt das, recherchiert und findet: Die Totenrede, die er für sie halten wollte: die schönste Liebeserklärung für sie.
Wenn ein 16-Jähriger stirbt, kann man schlecht sagen, er habe ein erfülltes Leben gehabt. Was ist denn diese Erfüllung? Die drei Helden Greens zeigen, dass man auch angesichts des Todes mitten im Leben stehen kann, sein Leben erfüllen kann. Man darf nur nicht den Humor verlieren. Das sagt sich so leicht.
Auf der Auswahlliste des LesePeters. cjh12.09

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Diese Rezension wurde verfasst von cjh.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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