Winterpony

Autor*in
Lawrence, Iain
ISBN
978-3-7725-2968-9
Übersetzer*in
Ernst, Alexandra
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
317
Verlag
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
Stuttgart
Jahr
2020
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
19,00 €
Bewertung
empfehlenswert

Teaser

Der tragische "Wettlauf zum Südpol" zwischen Amundsen und Scott - erzählt aus einer sehr außergewöhnlichen Perspektive. James Pigg ist eines der Ponys, die die englische Expedition auf dem Weg durch die Antarktis begleiten - und der "Held" des berührenden Romans.

Beurteilungstext

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die bislang unbekannten Gegenden der Erde weitgehend erforscht. Rekordjägern blieben nur noch wenige Möglichkeiten, ihre Namen als Entdecker in den Geschichtsbüchern verzeichnet zu wissen. Einer der besessensten dieser Entdecker war der Norweger Roald Amundsen. Als die US-Amerikaner Cook und Peary 1909 behaupteten, den Nordpol erreicht zu haben, blieb ihm nur noch das "Gegenstück" auf der anderen Seite des Globus, um seine Ambitionen zu verwirklichen. Wissend, dass Captain Robert F. Scott aus England eine Expedition zum Südpol vorbereitete, steuerte er mit seiner Mannschaft dasselbe Ziel an.
Dutzende Bücher sind über den dramatischen Wettlauf der beiden Gruppen zum südlichsten Punkt der Erde verfasst worden. Wahrscheinlich aber noch keines, welches eine solch ungewöhnliche Sichtweise wählt. Denn der Protagonist des Romans des kanadischen Autors Iain Lawrence ist James Pigg ... ein Pony. Amundsen und Scott wählten unterschiedliche Hilfsmittel, um sich zum 90. Breitengrad vorzukämpfen. Der Norweger setzte auf die ihm vertrauten Schlittenhunde. Scott wollte es einerseits mit Motorschlitten versuchen (die in der bitteren Kälte schnell versagten). Zum anderen setzte er auf Ponys, die er gezielt in den Weiten Russlands und der Mandschurei auswählen und kaufen ließ, ans andere Ende der Erde brachte, trainierte und nutzte, um Lasten zu den Depots zu transportieren, die er in regelmäßigen Abständen auf dem Weg zum Pol anlegen ließ. Mit 18 Tieren trat er die Reise an. Der weit über einjährige Aufenthalt in der Antarktis war eine Tortur für die Pferde und die Menschen, die sie betreuten.
Der Roman schildert, wie James Pigg, ein kleines und nicht mehr junges Pony die Expedition erlebt. Er berichtet von seiner bitteren, durch schwere Arbeit und Prügel geprägten Jugend, vor allem aber wird explizit dargestellt, wie er immer wieder einen mit hunderten Pfund Last beladenen Schlitten durch mitunter schulterhohen Schnee zieht; wie er der unvorstellbaren Kälte und dem Hunger trotzt; wie er erlebt, wie menschliche und tierische Kameraden durch Spalten brechen, von Killerwalen bedroht werden und vor Erschöpfung und mit schweren Erfrierungen zusammenbrechen. Im Zentrum aber steht seine Beziehung zu dem Matrosen, dem er anvertraut ist, dem Iren Patrick Keohane, der ihm mit Zuneigung und Fürsorge begegnet und den er regelrecht liebt.
Keines der Ponys erreicht den Pol. Zusammen mit vier weiteren Tieren wird James Pigg von den Menschen rund hundert Meilen vor dem Ziel erschossen, als alle Futtervorräte aufgebraucht sind und die Unpaarhufer vor Schwäche nicht weiterkönnen.

Lawrence unternimmt ein schwieriges erzählerisches Unterfangen. Er wählt ganz bewusst die Perspektive des Tieres, welches von Menschen für die eigenen - wahnwitzigen - Zwecke genutzt bzw. missbraucht wird. Von Beginn an wird klar, dass die Tiere für den Autor die "wahren Helden" der englischen Expedition sind. Dass er James Pigg aus der Ich-Perspektive erzählen lässt, ist natürlich eine Gratwanderung, da dem Pony kognitive und emotionale Fähigkeiten zugeschrieben werden, welches es nicht hat (oder von denen wir Menschen zumindest nichts wissen). Noch dazu versteht der Protagonist - offenbar im Gegensatz zu den anderen Ponys - die Sprache der Menschen. Dennoch wirkt diese Erzählweise nicht unglaubwürdig. Als Leser*in ist man sich selbstverständlich immer bewusst, dass ein Pony nicht die Dinge, die mit ihm und um ihn herum geschehen, reflektiert; dass es sich erinnert; dass es moralische Wertungen vornimmt etc. - aber das ist nicht störend, weil die Art und Weise, wie James Pigg über sich und die Menschen "denkt" immer im Bereich des Vorstellbaren bleibt. Vor allem die Zuneigung, welches er seinem Pfleger gegenüber an den Tag legt, ist nachvollziehbar und wird mit sehr konkreten und detailliert beschriebenen Handlungen des Menschen belegt. Die Geschichte wird weitgehend chronologisch erzählt - von James Piggs Geburt in der Weiten Sibiriens irgendwann um das Jahr 1900 bis zum Ende der Expedition im Frühjahr 1912. Kurze Kapitel im Stile eines Sachtextes machen zwischendurch deutlich, auf welchen historischen Fakten die Fiktion beruht.
Das tragische Ende der Pferde, die von den Engländern, welche sich weitgehend fürsorglich um sie gekümmert haben, schließlich gnadenlos erschossen werden, ist ebenso traurig wie frei von Weinerlichkeit. Letztlich fokussiert der Autor auf die Frage, welche Art des Zusammenexistierens von Mensch und Tier moralisch gerechtfertigt ist und wo die Grenzen liegen. Den Gegensatz zwischen ehrlich empfundener Tierliebe und rücksichtslosem menschlichen Egoismus arbeitet Lawrence in aller Schärfe heraus.
"Nebenbei" erzählt er eine Geschichte neu, die immer noch eine unglaubliche Faszination ausübt. Er schildert fesselnd viele Details der Polexpedition. Einzige Schwäche des Buches sind gewisse Längen und Redundanzen - wenn immer wieder das mühselige Tagwerk des Transports von Vorräten und Ausrüstung aufgerollt wird und die lebensfeindlichen Facetten der antarktischen Natur immer wieder neu dargestellt werden.
Ergänzt wird die Romanhandlung durch Listen der Ponys und Menschen der englischen Expedition sowie durch ein umfangreiches Nachwort, in welchem der Autor seine persönliche Beziehung zum Stoff schildert. Die Übersetzung ist hervorragend.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von RPKJ; Landesstelle: Rheinland-Pfalz.
Veröffentlicht am 27.11.2020

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