Therese. Das Mädchen, das mit Krokodilen spielte

Autor*in
Schulz, Hermann
ISBN
978-3-423-64086-2
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
304
Verlag
dtv
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
München
Jahr
2021
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
17,00 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Therese ist Opfer einer aus heutiger Sicht skandalösen und kaum bekannten Wirklichkeit der europäischen Kolonialgeschichte, als menschenverachtende Völkerschauen allgemein große Faszination ausübten. Thereses ungewöhnlicher Lebensweg wird auf der Grundlage biografischer Fakten romanhaft nachgezeichnet.

Beurteilungstext

Am 12.12.1900 wurde in Elberfeld Regina Philomena geboren, die aber zeitlebens Therese genannt wurde. Sie starb am 21.9.1991 in Lomé, der Hauptstadt von Togo.
Hermann Schulz, der sich als Verleger für afrikanische Autoren interessierte, begegnete Therese 1977 zufällig in einem Supermarkt in Lomé. Auf seine Anregung hin besprach sie fünf Kassetten mit Erinnerungen aus ihrem außergewöhnlichen Leben, die Hermann Schulz erst im Jahr 2021 in diesem Jugendroman verarbeitet. Der Roman enthält biografische Anteile, ist ansonsten aber fiktiv.
Mit Höhepunkt ab 1870 und sogar bis 1940 wurden in Europa kommerziell vermarktete Völkerschauen veranstaltet. Die Zurschaustellung von Menschen fremder Völker fand massenhaften Zulauf aus der einheimischen Bevölkerung. Togo war von 1884 bis 1916 deutsche Kolonie. Von dort stammte der Vater von Therese zusammen mit seinen vier Frauen. Sie gehörten zu einer afrikanischen Schaustellertruppe. Wegen des häufigen Ortswechsels konnten die Kinder von Schaustellern nicht bei den umherreisenden Truppen bleiben. Therese wurde in die Obhut von Pflegeeltern gegeben, zunächst gedacht als Übergang, bis die Familie nach Togo zurückkehren würde. Sie hatte Glück, behütet und vorbehaltlos geliebt bei den Pflegeeltern aufwachsen zu können in einer Zeit, in der Menschen mit nicht weißer Hautfarbe in einer deutschen Kleinstadt alles andere als selbstverständlich waren. Sie war rassistischen Anfeindungen ausgesetzt, überwiegend begegnete sie aber Wohlwollen und insbesondere durch den Rückhalt, den sie bei ihren Pflegeeltern fand, war sie später in der Lage, ihr Leben selbstbewusst und zielstrebig in die Hand zu nehmen. Zwischenzeitlich muss Therese zusammen mit ihren leiblichen Eltern unter schwersten Bedingungen mehrere Monate in einem Übergangslager in Rotterdam verbringen, wo die Familie auf ihre Schiffspassage zurück nach Togo wartete. Sie erkrankt so schwer, dass sie in ein Krankenhaus eingeliefert wird, von wo aus sie zu ihren Pflegeeltern zurückkehren kann. Statt der Rückreise nach Afrika nehmen ihre leiblichen Eltern ein Angebot für Auftritte in dem damals noch zaristischen Russland an und bleiben dort verschollen. Nach dem Abschluss der Schule macht Therese eine Ausbildung in der Diakonie und leitet später ein Kinderheim in Hamburg. Auch in diesem Rahmen findet sie viel Unterstützung und Anerkennung. Ganz unerwartet wird Therese von ihrem älteren leiblichen Bruder, Kodjo, gefunden. Bei ihm empfindet sie zum ersten Mal das Glück einer echten Familienzugehörigkeit und erhält durch ihn Zugang zu einem für sie bis dahin unbekannten freieren Lebenswandel. Mit dem Erstarken des Nationalsozialismus und dem zunehmenden Fremdenhass verändern sich Thereses Lebensbedingungen und die Anfeindungen und Diskriminierungen werden für sie immer unerträglicher, sodass sie sich entschließt, zusammen mit ihrem Bruder nach Togo überzusiedeln. Einem für sie vollkommen unbekannten Land, von dem sie lediglich weiß, dass ihre Kindheitsvorstellung „Da spielen die Kinder mit Krokodilen“ nicht der Wahrheit entspricht. Kurz bevor sie Deutschland verlässt, begegnet sie ihrem späteren togolesischen Mann, mit dem sie nach dem Krieg vorübergehend auch nach Deutschland zurückkehren wird.

Thereses bemerkenswerte Würde und ihre Kraft und Tapferkeit, sich nicht unterkriegen zu lassen, sind beeindruckend dargestellt und es gelingt dem Autor, Interesse an dem damaligen Zeitgeschehen und dem Fortgang von Thereses Schicksal zu erwecken. An vielen Stellen wäre aber das Zulassen von aufwühlenden Gefühlen und die Auseinandersetzung damit überzeugender, eindrucksvoller und authentischer gewesen. In nahezu jedem Kapitel wird ein unrealistisches Bild von Therese vermittelt, das an übermenschliche Selbstbeherrschung grenzt. Es besteht eine nicht nachvollziehbare Ambivalenz zwischen ihrem Erleben schwieriger Situationen und ihrer abgeklärten Reaktion darauf, sodass für mich durch eine bleibende Distanz keine wirkliche Identifikation mit der Protagonistin gelingt und keine packende Spannung entsteht. Stilistisch hätte ich insbesondere in einem Jugendroman gewandtere und geläufigere Formulierungen erwartet.
Aus meiner Sicht wäre aus dieser historisch und biografisch interessanten Thematik mehr herauszuholen gewesen. Zu Vieles bleibt an der Oberfläche, statt angemessene Betroffenheit zu erzeugen und die Leserschaft emotional zu fesseln, was bei der brisanten Thematik durchaus möglich gewesen wäre.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von swi; Landesstelle: Hamburg.
Veröffentlicht am 15.03.2022

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