Rupert Rau. Superheld

Autor*in
Bauer, Michael Gerard
ISBN
978-3-423-64018-3
Übersetzer*in
Mihr, Ute
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Bauer, Joe
Seitenanzahl
208
Verlag
dtv
Gattung
Ort
München
Jahr
2016
Lesealter
8-9 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Klassenlektüre
Preis
9,95 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Rupert Rau lebt in zwei Welten: In der Welt des Geheimagenten Archie "Achtung!" Amber (engl. Derek ‚Danger’ Dale), der jeden Tag die Welt vor der Vernichtung rettet, – und in der Grundschule. Da ist es eine willkommene Abwechslung, dass mal eine Unterrichtswoche zu Superhelden auf dem Plan steht. Damit kennt sich Rupert bestens aus. Doch mit dem Heldentum im alltäglichen Schulleben gibt es noch ein paar Schwierigkeiten, Heuschrecken zum Beispiel.

Beurteilungstext

Im Unterschied zur deutschen Ausgabe trägt das englische Original den Titel "Eric Vale Super Male". Zwischen "supermännlich" und "Superheld" gibt es Unterschiede. Zwar sind viele Superhelden männlich, vor allem die Bekanntesten, wie Superman, Spiderman oder Batman, aber angesichts der oft an Tiere erinnernden Kostümierung und der Unvereinbarkeit von Helden- und Familienleben stellt sich die Frage, wie relevant Geschlechtliches für diese Figuren sein kann. Sie können aber als Repräsentanten geschlechtsspezifischen Rollenverhaltens gelesen werden, wobei jedoch oft nur Klischees von Männlichkeit und Weiblichkeit dargestellt werden.
Aus der Perspektive der Superhelden ist nur ein beschränkter Blick auf alltägliche Probleme möglich. Demzufolge kann der Superheldenstoff in diesem Text nur als Synekdoche fungieren. Von Teilaspekten der Männlichkeit wird auf eine Realität geschlechtsspezifischen Rollenverhaltens geblickt. Der Protagonist Rupert Rau (deutsche Übersetzung), ein Grundschüler, ist auf der Suche nach einer passenden Geschlechtsidentität als Junge. Der Ausdruck "Superheld" ist die Chiffre, in der das Problem verschlüsselt ist. Rupert Rau schwärmt für ein Mädchen aus seiner Klasse und möchte sie beeindrucken, ihre Aufmerksamkeit erlangen, ihr näherkommen. Er will dafür als Held, als mutiger Junge, erscheinen. Das gelingt ihm trotz einiger Gelegenheiten nur eingeschränkt. Am Ende des Buches stellt er fest, dass er eben doch kein Superheld ist und hat damit eine ausgewogenere Einstellung zur männlichen Geschlechtsidentität gefunden: Hilfe geben und mutig sein ist gut, supergut aussehen ist dabei weniger wichtig.
Der Superheldenstoff bietet jedoch mehr als einen Beitrag zur Geschlechterrollenproblematik. Diese Helden faszinieren Rupert auch wegen ihres Lebens, weil es viel interessanter als die Schule ist. Außerdem scheinen sie ihr Leben besser im Griff zu haben. Diesbezüglich lässt sich eine Verkürzung der Comicerzählungen feststellen. Als Chiffre verwendet, wird nur das Offensichtliche der Superhelden akzentuiert und angesprochen, wie hier der scheinbar stete Erfolg und die unhinterfragte gesellschaftliche Anerkennung. "Aus großer Macht, folgt große Verantwortung!", lautet der Leitspruch von Spiderman. Superhelden haben keine leichteres Leben, die Probleme wachsen mit den Kräften. Immer wieder gibt es neue und gefährliche Feinde oder Situationen, in denen sich die Helden bewähren müssen. Der zum Teil beachtliche Schaden, der bei den oft gewaltsamen Aktionen entsteht, erzeugt meist eine negative Stimmung in der Öffentlichkeit. Nicht alle sind über Superhelden glücklich. Die scheinbare Überlegenheit dient in diesem Roman als Kontrastfolie, vor der sich Rupert Raus Schulprobleme durch fehlende Perfektion und Banalität als Lachnummern abzeichnen. Die Superhelden sind das gedankliche Sprungbrett, von denen die Rezipienten in das Alltagsleben eines Grundschülers stürzen.
Der Blick auf die Superhelden fällt demzufolge oft auch parodistisch aus. Die Klischees über die Figuren und Erzählmuster werden überzeichnet aufgegriffen. Puffy, der Freund von Rupert, verehrt Mister-Glaub-an-Dich, eine Figur, die seine Eltern, Motivationstrainer, erfunden haben. Rupert verweist hier exemplarisch auf das einfach gestrickte Handlungsschema. Immer türmen sich zunächst unüberwindbare Schwierigkeiten auf, bis der Held eine Lösung, meistens eine Anwendungsmöglichkeit für seine Superkräfte, entdeckt. So nacherzählt, erscheint die Handlung eintönig und voraussehbar. Diese Wirkung ist das Ergebnis einer Verallgemeinerung. Im Detail variieren die Geschichten und dadurch entsteht eine Faszination mit weltweiter Wirkung. Weil das Muster so einfach ist, lässt sich damit fast alles erzählen. In dem bekannten Rahmen, der in Abenteuererzählungen bereits verwendet wurde – in den 1930er erscheinen einige Superhelden in der Serie Adventure Comics –, lassen sich abwechslungsreiche Geschichten erzählen. Bekannt ist der Held, seine "Geburt", seine Fähigkeiten, seine Geschichte; unbekannt sind die Schwierigkeiten, aber gewiss ist in der Regel der gute Ausgang. Wie Abenteuererzählungen vermitteln Superhelden Optimismus in einer Welt, die selbst von der Wissenschaft nicht mehr widerspruchsfrei erklärt werden kann.
Auch wenn der Superheldenstoff unterkomplex und parodistisch dargestellt wird, hat dieses Vorgehen wegen der anvisierten Zielgruppe und der beabsichtigten Wirkung seine Berechtigung. Für Grundschüler, die sich mit literarischen Figuren oft bedingungslos identifizieren, weil sich in dem Alter die Fähigkeit zur Perspektivübernahme erst ausbildet, kann Bewusstsein über den fiktionalen Status der Comicerzählungen zu einem angemesseneren Umgang mit Literatur führen. Es sollte aber nicht beim Schluss, der völligen Ablehnung von Superhelden bleiben. Dass es im alltäglichen Leben keine Superhelden gibt, ist offensichtlich, aber deswegen erübrigt sich die Vorstellung nicht. Wie im vorliegenden Fall können die Figuren und Handlungsmuster dazu dienen, individuelle und kollektive Identitäten auszuhandeln sowie unlösbare Probleme zu bearbeiten (Unbeherrschbarkeit von Natur und Technik, z. B. Atomkraft).
Der komische Effekt wird duch die comicartigen Zeichnungen erreicht, die eine Distanz zum Geschehen aufbauen, indem sie es ironisieren. Ihr Verhältnis zur Präsentation des Geschehen wird deutlich, wenn Rupert in seinen Geschichten um Archi "Achtung!" Amber versinkt. Wie ein Film laufen die Bilder neben dem Text, kleine Einzelbilder, die Szenen mehr kommentieren als illustrieren und Situationen skizzenhaft, aber überzeichnet wiedergeben. Ironie ist auch ein gängiges sprachliches Stilmittel, das sich z. B. in Witzen manifestiert. Als Agent Ambers Widersacher, der Pharao Bloedianon, zu Staub zerfällt, verweist eine Sprechblase mit den Worten: "Da hat sich wohl einer aus dem Staub gemacht!", auf den übriggebliebenen Haufen.
Der Comicroman bietet einen unkonventionellen und auch kindgemäßen Zugang zum Thema "Superhelden in der kindlichen Lebenswelt". Er ist trotz einiger Klischees ein lesmotivierender und lesenswerter metafiktionaler Kommentar zu diesem Stoff, der darüber hinaus anregt, über den kindlichen (Schul-)Alltag mit seinen Lern- und Lebensproblemen nachzudenken, u. a. auch über Geschlechterrollenverhalten.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von ThoBi; Landesstelle: Sachsen-Anhalt.
Veröffentlicht am 26.06.2016

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