Lang lebe König Frosch!

Autor*in
Baltscheit, Martin
ISBN
978-3-7915-0149-9
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Büchner, SaBine
Seitenanzahl
110
Verlag
Dressler
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
Hamburg
Jahr
2020
Lesealter
6-7 Jahre8-9 Jahre10-11 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
15,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Baltscheit erzählt in diesem Buch mit seinem eigenen Humor von Machtmissbrauch und Gutmütigkeit. Er setzt auf überraschende Weise das Buch "Nur ein Tag" fort.

Beurteilungstext

Martin Baltscheit erzählt eine Fabel von der Gutmütigkeit und -gläubigkeit der Menschen, von Machtmissbrauch, aber auch von der Selbstbefreiung. Rezensionen schätzen dieses Buch sehr unterschiedlich ein: Es wird hochgelobt, aber auch als nahezu anmaßend und für die anvisierte Altersgruppe (welche?) überfordernd dargestellt. Damit wird in der Kritik das Buch vor allem an einem pädagogischen Maßstab gemessen. Am Ende der Rezension möchte ich darauf zurückkommen.

"Lang lebe der König" schließt an das Buch "Nur ein Tag" an, in dem Baltscheit rührend und doch komisch von einer Eintagsfliege erzählt, die von einem Fuchs und einem Wildschwein umsorgt wird. Das Thema Tod und Lebensgestaltung zieht sich in einer Leichtigkeit durch das Buch, die auch dadurch gegeben ist, dass Fuchs und Wildschwein wirklich herzensgute Charaktere sind.

Diese beiden sitzen nun also am See und haben alles vorbereitet für den Geburtstag einer neuen Eintagsfliege. Doch statt der Fliege kommt ein Frosch, ein anmaßender Frosch, der sich gern in das Vertrauen von Fuchs und Wildschwein einschmeicheln will. Das gelingt einmal nicht, auch ein zweites Mal misslingt es, aber als er sich als verzauberter Prinz ausgibt, überzeugt er beide Charaktere, schmeichelt ihnen, macht sie zu Fürst Fabian von Feuerbach und zum Trüffelmeister. Nun kann er die beiden beliebig manipulieren und für seine Zwecke ausnutzen. Fortan hat der Frosch ein gutes Leben, während Fuchs und Wildschwein schuften, dienen und hungern - ganz freiwillig. Doch der Frosch geht zu weit, und so wird erst das Wildschwein abtrünnig, dann auch der Fuchs und in einem dramatischen Abschlusskampf wird der Frosch gegen eine Wand geworfen und verschwindet. Dafür kommt ein paar Tage später eine freundliche kleine Eintagsfliege...

Die Bilder von SaBine Büchner setzen Ausschnitte des Geschehens bunt und fröhlich um, sie buchstabieren teilweise sehr selbstständig den Text aus und geben damit vor allem dem sehr beschränkten Raum, auf dem die Handlung angesiedelt ist, einen klaren Ort.

Sprachlich und semiotisch ist das kein "einfacher" Text. Teilweise längere Satzgefüge und komplexere, bisweilen deutungsoffene Formen bildlicher Sprache machen das Verstehen nicht einfach, zumal bisweilen ironische (Zwischen-)Töne auf sehr unterschiedlichen Ebenen verstanden werden können. Ein Beispiel: Nachdem der Frosch zum zweiten Mal Wildschwein und Fuchs betrogen hat, kommt das Kapitel "Die Gerichtsverhandlung". Und das beginnt so:

"Es gibt verschiedene Sorten Kleider. Solche, die hinters Licht führen, wie bunte Hüte, Sonnenbrillen und billiger Schmuck. Solche, die einen Müllmann vor Gestank und Wurstpelle schützen, und solche, die helfen, ein Amt mit Ernst und Würde zu füllen. Richter zum Beispiel! [...] Darum haben sich Fuchs und Wildschwein schwarze Roben und weiße Lockenperücken angezogen, weil sie klug zwischen Schwarz und Weiß und Recht und Unrecht unterscheiden sollen." (S. 41)

Als erwachsene (Vor-)Lesende können wir hier viel hineindeutet, Weises, Lustiges, Nachdenkliches. Anknüpfen an literarische Erfahrungen ("Kleider machen Leute"), aktuelle und historische Vorstellungen von Rechtssystemen und ggf. an rechtsphilosophische Diskurse. Dass hier mit einer ironischen Ebene zwischen der durchaus philosophischen Nachdenklichkeit und einem "auf die Schippe nehmen" von diesen Vorstellungen gespielt wird, werden wir erfassen und unsere Freude daran haben. Lesen wir dieses unser Verstehen als pädagogischen Auftrag, dass Kinder diesen Abschnitt genauso verstehen wie wir (Oder: wie wir die Intention des Autors verstehen), werden wir bei einer Zielgruppe von Kindern im Alter zwischen 6 und 12 Jahren scheitern. Erst recht, wenn die Erwartung ist, dass Kinder beim Selbstlesen dieser Passage das verstehen sollen, was wir verstanden haben. Interessanter scheint mir, darauf zu schauen, wie Kinder diesen Abschnitt verstehen, was sie daraus machen oder auch machen wollen. Bei der privaten Lektüre können wir viel erfahren durch Nachfragen, durch Zuhören. In der Schule vielleicht durch ein literarisches Gespräch, das vor allem die Deutungsvielfalt der Passage offenlegt.

Schwierig erscheinen einzelnen Rezensent*innen bei diesem Buch zudem die Sprechweise des Frosches. Viele seiner wörtlichen Aussagen (nicht alle!) legen einen französischen Akzent nahe, einzelne Formulierungen sind französisch (z. B. "Au revoir, chérie!", "une famille", "vive la république!") und werden in einer Fußnote übersetzt. Häufiger wird bei deutschen Nomen das falsche Genus verwendet: "ein köstlich Torte", "die Bruder", "dein Lebensversicherung". Betrachtet man Kinderliteratur als rein pädagogische Literatur, die vor allem sprachlich bilden soll, scheint dies verwerflich zu sein, denn so könnten sich - so die Annahme - bei mehrsprachigen Kindern falsche grammatische Formen einprägen. Durch die französischen Einschübe seien Leseanfänger*innen zudem überfordert. Dass es für das Einprägen solch falscher grammatischer Formen durch einmaliges Lesen keine wissenschaftlichen Nachweise gibt, sei einmal nebenbei erwähnt. Vielmehr ignoriert eine solche Sicht, dass Kinderliteratur in erster Linie Literatur ist und nicht Lehrwerk. Was darf Literatur? Was darf Kinderliteratur? Auch hier ist vielleicht interessanter, darauf zu schauen, was Kinder mit dem Buch, mit der Sprache machen, als das, was wir als pädagogisch denkende Erwachsene glauben, was Kinder damit machen sollten.
a) Wird das Buch vorgelesen (was für die Altersspanne bis 8/9 Jahren sicherlich sinnvoll wäre), ist die Gestaltungschance durch die Vorlesenden groß, hier den Witz mit aufzunehmen und die Freude an der (vielleicht) fremden Sprache zu zeigen.
b) Kinder, die den nicht unbeträchtlichen Textumfang beim Lesen selber bewältigen können und wollen, werden vielleicht bei den französischen Wörtern stocken, sie wahrscheinlich nicht richtig klanglich formen können, sich aber durchaus eine Vorstellung des Formulierungsinhalts machen können, bevor sie in der Fußnote nachschauen, was das Wort heißt. Sicher ist dies kein Buch, das sich an Kinder richtet, die im aller ersten Leseanfang stecken und noch wenig Erfahrung mit dem eigenständigen Lesen ganzer Bücher haben. Aber leseerfahrene Kinder werden auch in der Eigenlektüre ihren Spaß haben und sich auf das Geschriebene „ihren Reim“ machen. Lachen können sie auch an stellen, an denen wir wahrscheinlich den Humor nicht verstehen.

Spannend also, dieses Buch! Es zeigt eine durchgängige Mehrfachadressierung, die es erlaubt, Lesende mit ganz unterschiedlichen Vorerfahrungen ins Gespräch über ihr Verstehen zu bringen. Dabei lohnt sich dieser Austausch sowohl über inhaltliche Aspekte als auch über sprachliche Besonderheiten. Eines scheint aber sicher: Spaß und Freude werden fast alle Lesenden aus diesem Buch schöpfen.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Christoph Jantzen; Landesstelle: Hamburg.
Veröffentlicht am 04.09.2020

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