Frau Wolle und der Duft von Schokolade

Autor*in
Richter, Jutta
ISBN
978-3-423-62727-6
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Mattei, Günter
Seitenanzahl
143
Verlag
dtv
Gattung
FantastikTaschenbuch
Ort
München
Jahr
2020
Lesealter
8-9 Jahre10-11 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
9,95 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Die Mutter von Merle und Moritz ist (zurzeit?) alleinerziehend. Weil sie häufig Spätschicht hat, sucht sie eine "Nachtfrau", die auf die Kinder aufpasst, und ausgerechnet die unheimliche Frau Wolkenstein wird es. Von ihr geht das Gerücht, in ihrem dunklen Laden verschwänden Kinder, und auch den Geschwistern gegenüber verhält sie sich sehr seltsam. Noch dazu geraten sie nachts in die Murkelei und erleben merkwürdige und auch beängstigende Abenteuer.

Beurteilungstext

Was mit dem Vater ist, erfahren wir nicht, und es scheint, als wüsste auch die Mutter nicht, wo er ist, denn als Moritz etwas vom Vater erzählt, fragt sie: "Ist er wieder da? Hast du ihn gesehen?" Doch alles, was die Kinder von ihrem Vater haben, ist ein Weltempfänger, aus dem seltsamerweise nicht Radioprogramme aus der ganzen Welt zu ihnen dringen, sondern die Stimme des Vaters. Der Vater spricht zwar nicht sie direkt an, sondern fiktive Hörer, die er auf eine musikalische Weltreise einlädt, aber sie fühlen sich persönlich angesprochen und genießen diese wiedererlangte Nähe zum verschwundenen Vater.
Als nun Frau Wolkenstein mit ihren seltsamen Augen, die je nach Stimmung die Farbe wechseln können, und die Moritz mit Schokolade zu verzaubern scheint, während Merle die Schokolade ablehnt ("Denk an Brüderchen und Schwesterchen, da war das Wasser verhext."), zum ersten Mal nachts bei den Kindern bleibt, wachen diese auf und finden in ihrem Zimmer eine seltsame Tür, auf der "Murkelei" steht. Der Vater hatte ihnen, neben anderen Geschichten, viele Geschichten aus der Murkelei erzählt, wobei wir nicht erfahren, ob es die von Hans Fallada waren oder selbst ausgedachte.
Mit dem Weltempfänger in der Hand gehen die Kinder mutig durch die Tür und werden von einer anderen als der Stimme des Vaters aus dem Weltempfänger willkommen geheißen. Die Stimme klingt fast wie die von Frau Wolkenstein. Sie treffen in der Murkelei auf Spitzzahntrolle, die anscheinend von einer geheimnisvollen Frau Wolle dirigiert werden und bei denen man vermuten kann, dass sie die Kinder mit Hilfe von Schokolade verwandeln wollen, und verlieren ihren Weltempfänger. Nun müssen sie noch einmal zurück, denn das Gerät ist ihre einzige Verbindung zum Vater. In dieser zweiten Nacht erhalten sie Unterstützung durch den "Waisenfuchs". Sie treffen aber auch auf weitere Gefahren und Probleme, die sie nur durch einen Zettel mit "Regeln für die Murkelei", den wohl Frau Wolkenstein in Merles Brotdose gelegt hat, überwinden. Zum Schluss retten sie sich durch zwei Eisvogelfedern, die Frau Wolkenstein ihnen auf die Teller gelegt hatte, begleitet von geheimnisvollen Anspielungen. Nun landen sie aber nicht zuhause, sondern in Frau Wolkensteins dunklem Laden.
Das offene Ende verweist auf die Folgebände.

Kunstvoll verwebt Jutta Richter verschiedene Fäden, Anspielungen und Bezüge zu einer stimmigen Handlung. Fabulierlust zeigt sich in der Gestaltung der fantastischen Umgebung und den Bewohnern der Murkelei: Kindliche Vorstellungen wie die der in der Nachbarschaft verschrienen angeblichen Hexe oder dem Ort, an dem sich verloren gegangene Spielsachen finden, Schokolade, die Kinder nicht annehmen sollen... und dazu Motive aus der fantastischen Literatur wie die Verzauberung durch Speisen, die man im Feenreich keinesfalls essen sollte.
Der aktuelle Hintergrund der Protagonist*innen ist eine Mangelsituation, die sie vielleicht durch ihre Abenteuer bearbeiten oder sogar überwinden können: Der geliebte Vater ist verschwunden, die Mutter ist in einer schwierigen Lage als alleinerziehende berufstätige Mutter. Als nun die Lösung mit Frau Wolkenstein als Nachtfrau gefunden wird, führt das dazu, dass die anderen Kinder nichts mehr mit Merle und Moritz zu tun haben wollen, da sie Frau Wolkenstein so unheimlich finden.
In all diesen Fäden und Motiven verliert die Autorin nie den Überblick. Die Erzählung wirkt immer in sich kohärent, auch wenn alles bis zum Ende rätselhaft bleibt. Vermutungen entstehen: Ist der Waisenfuchs eigentlich der Vater? Was haben Frau Wolle und Frau Wolkenstein miteinander zu tun? Woher kommen die versteinerten Kinder in den Gängen der Murkelei? Die renommierte Autorin von meistens eher realistischen Kinderbüchern beweist hier, dass sie auch das Metier der Fantastik beherrscht. Wohltuend hebt sich die Erzählung von den vielen in Beliebigkeit und Effekthascherei erstickenden fantastischen Geschichten ab, die in großer Zahl auf den Markt geworfen werden.

Erzählt wird in der ersten Person aus Merles Perspektive. Sie ist die ältere der Geschwister und unterstützt Moritz, der etwas ängstlicher ist. Die Vignetten und ganzseitigen Illustrationen sind zart und versponnen und ergänzen das Traumhafte der Erzählung sehr gut.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Gudrun Stenzel; Landesstelle: Hamburg.
Veröffentlicht am 14.08.2020

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