Die lange Reise des Jakob Stern

Autor*in
Schröder, Rainer M.
ISBN
978-3-570-12645-5
Übersetzer*in
Ori. Sprache
---
Illustrator*in
Seitenanzahl
350
Verlag
Bertelsmann
Gattung
Ort
München
Jahr
2003
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
16,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Der 16-jährige Jakob Stern gelangt im Frühjahr 1939 mit einem Transport jüdischer Kinder aus dem Deutschen Reich über die Niederlande nach England. Scheinbar in Sicherheit, macht er auch dort Erfahrungen mit Antisemitismus und tritt schließlich mit seinen inzwischen neu gewonnenen Freunden unfreiwillig eine Reise um die halbe Welt an...

Beurteilungstext

Rainer M. Schröder hat mit seinem Roman eine außergewöhnlich vielschichtige Erzählung vorgelegt, die sich sehr deutlich von den zahlreichen anderen um den NS und den Holocaust gruppierten Erzählungen abhebt.
Das Buch ist in sechs Kapitel gegliedert, von denen jedes einen bestimmten Zeitraum der Reise Jakobs erzählt.
Stark gerafft im Vergleich zum Rest der Erzählung sind im ersten Kapitel die Ereignisse in Deutschland von März 1935 bis Februar 1939 dargestellt, die Anlass für Jakobs Flucht sind. Einerseits gelingt es Schröder mit den Handlungsträgern sehr differenzierte und glaubwürdige Charaktere zu zeichnen, die jenseits der oft wiederkehrenden Stereotypen in Literatur in dem Thema "NS und Holocaust" liegen. So lebt Jakob in einer stark säkularisierten Familie, die ihren jüdischen Glauben eher spärlich praktiziert und in einem gespanntem Verhältnis zu befreundeten Zionisten steht; Jakobs Vater ist ein dekorierter Veteran des Ersten Weltkrieges, der zu Beginn der Erzählung den sich kontinuierlich steigernden Antisemitismus lediglich für ein vorübergehendes Phänomen hält und dessen starker Charakter durch die sehr temporeiche und schonungslos dargestellte Reichspogromnacht sowie die anschließende Inhaftierung völlig umgekehrt wird und der sogar an kollektiven Suizid denkt. Andererseits setzt Schröder die Figurenzeichnungen bei den Nebenfiguren weniger konsequent fort. Diese bleiben eher schemenhaft, aber rücken leider mehrfach in die Nähe bekannter Klischees wie das des "bösen Deutschen". Diese Schwäche zieht sich durch die ganze Erzählung und betrifft auch die Beschreibungen der britischen Soldaten.
In den weiteren Kapiteln werden die Ereignisse während des Kindertransportes und der Zeit in den Lagern bis zur unfreiwilligen Ankunft in Australien beschrieben. So lernt Jakob auf der Zugfahrt in die Niederlande neben seinen Freunden Lukas und "Wolke" auch Erika kennen, seine spätere Ehefrau. Neben seiner aufkeimenden Liebe zu Erika, die immer wieder eine Art Rettungsanker für Jakob darstellt, ziehen sich noch weitere Motive durch die Erzählung. So werden nach Kriegsausbruch die jüdischen Kinder in England als "bloody Germans" diffamiert und sogar gemeinsam mit deutschen Kriegsgefangenen interniert . Für die Tatsache, dass sie selbst auf der Flucht vor dem Nazi-System sind, interessiert sich niemand. Im Gegenteil, auch von Seiten der Engländer werden sie mit antisemitischen Äußerungen konfrontiert. Ein anderes, wichtiges Motiv ist Jakobs stetiges Hadern mit seinem Glauben, das auf der Schiffsreise nach Australien seinen Höhepunkt in der Diskussion mit einem Freund über die Existenz Gottes findet.
Sehr gut gelungen ist die Ausführung des Epilogs. Schröder lässt den Leser nicht mit der Ankunft Jakobs in Australien allein, sondern gibt im Epilog einen Einblick in den weiteren Lebenslauf Jakobs und seiner Freunde und rückt mit dem Bezug auf die immer noch aktuellen Selbstmordanschläge in Israel seine Erzählung in eine greifbare und mitreißende Nähe.
Ergänzt wird die Erzählung durch ein Glossar, dessen geringer Umfang vielleicht manch einen stören mag, aber seinen Ansprüchen den jugendlichen Lesern Genüge tut, und eine (Einstiegs-)Bibliographie von Quellen und Forschungsliteratur zum Thema. Letztere übrigens ist auch ein Zeichen von Schröders intensiver Recherchearbeit.
Erzähltechnisch schließt sich der Roman mit auktorialem Erzähler und linear verlaufender Handlung traditionellen Formen an, was aber der Qualität der Erzählung keinen Abbruch tut und der Lesbarkeit vielmehr zu Gute kommt.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass "Die lange Reise des Jakob Stern" ein eindrucksvolles und gleichsam unterhaltsames Buch ist, das ein schwieriges Thema aufgreift, aber dankenswerterweise auf den moralischen Zeigefinger verzichtet und für sich selbst spricht. Neben bedrückenden Szenen, in denen der Protagonist sich mit Tod und Verfolgung auseinandersetzen muss, wie z.B. den Briefen der Eltern, gibt es immer wieder auch solche Momente, die den Leser an Glück und Freude teilhaben lassen, so dass für diesen ein abwechslungsreicher Lesegenuss garantiert ist.
Ein Einsatz im Deutschunterricht in den Klassenstufen sechs bis acht ist u.a. im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem NS und vor allem Antisemitismus denkbar. Allerdings wäre zu überlegen des Umfangs wegen nur einzelne Kapitel herauszugreifen und die vollständige Lektüre freizustellen.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von str.
Veröffentlicht am 01.01.2010

Weitere Rezensionen zu Büchern von Schröder, Rainer M.

Schröder, Rainer M.

Himmel ohne Sterne - Der lange Weg nach Palästina

Weiterlesen
Schröder, Rainer M.

Die lange Reise des Jakob Stern

Weiterlesen
Schröder, Rainer M.

Wolf Moon River

Weiterlesen
Schröder, Rainer M.

Wolf Moon River

Weiterlesen
Schröder, Rainer M.

Himmel ohne Sterne

Weiterlesen
Schröder, Rainer M.

Himmel ohne Sterne

Weiterlesen