Das Mädchen in unserem Badezimmer

Schlagwörter

• Außenseiter
• Familie
• Ungleichheit

Teaser

Amras Mutter lädt eine junge wohnungslose Frau ein, im Badezimmer der Familie zu duschen. Amra ist zuerst empört, erfährt dann aber mehr über die 17-jährige Coco und macht sich auf die Suche nach ihr, nachdem sie wie vom Erdboden verschwunden zu sein scheint.

Beurteilungstext

Das Buch ist wie ein Thriller aufgebaut: Amra findet das Tagebuch, dass Coco in der Wohnung vergessen hat, und will es ihr unbedingt zurückgeben, denn als sie im Tagebuch nach Hinweisen auf den Aufenthaltsort sucht, erfährt sie vieles über das erschütternde Schicksal der nur wenig Älteren. Gemeinsam mit ihrer besten Freundin Lousie geht sie den Hinweisen nach und entdeckt dabei ein bislang für sie unbekanntes Berlin. Der Verdacht, Coco könnte von Organhändlern gekidnapped worden sein, bestätigt sich nicht, im Gegenteil, die Menschen, die Amra und Louise verdächtigten, erweisen sich als wichtige Freunde für Coco.
Amras und Louises Wege durch das Berlin der Armen und Wohnungslosen ist bedrückend und auch spannend mitzuerleben. Die beiden sind zuerst ohne viel zu wissen auf der Suche nach Coco, erfahren nach und nach aber mehr über diese unbekannte Welt allgemein und auch speziell über Cocos Strategien, sich durchzuschlagen, auch durch paralleles Lesen im Tagebuch. Sie haben bedrückende und berührende Begegnungen. Doch dann, als sich zwei Erwachsene, mit denen Coco über einen längeren Zeitraum Kontakt hatte, irgendwie verdächtig verhalten, entwickeln sie ihre Verschwörungstheorie, derzufolge systematisch wohnungslose Menschen gekidnapped werden, damit ihnen ohne Einwilligung Organe entnommen werden können. Dieser Verdacht ist zwar dramaturgisch gewissermaßen hilfreich, da Spannung aufgebaut wird, aber die Auflösung ist narrativ unbefriedigend, denn für Leser*innen war der Eindruck, die verdächtigen Erwachsenen hatten etwas zu verbergen, nachvollziehbar. Dass das sich dann quasi in Nichts auflöst, erscheint innerhalb der Erzählung als nicht schlüssig.
Nicht überzeugend sind auch die langen Tagebucheinträge von Coco. Natürlich sind sie notwendig, damit die Mädchen ausreichend Hinweise finden, um Coco zu suchen, und vor allem, damit sie (und die Leser*innen) verstehen, wie Coco in diese Situation geraten ist. Trotzdem wirken diese langen und ausformulierten Tagebucheinträge mit vielen Rückblicken sehr künstlich.
Trotz allem gibt diesen Buch einen Einblick in das Leben von wohnungslosen (jungen) Menschen. Sachinformationen ergänzen die fiktive Handlung.
Die wie Holzschnitte oder Linolschnitte gestalteten schwarz-weißen Illustrationen tragen auch zu der besonderen Wirkung des Buches bei, ebenso wie die sparsam eingesetzten typographischen Elemente. Das Buch ist auf der Longlist der schönsten deutschen Bücher 2023 der Stiftung Buchkunst, und das zu Recht!