Chaossommer mit Ur-Otto

Autor*in
Boie, Kirsten
ISBN
978-3-7373-5762-3
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
144
Verlag
MeyersDuden
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
Frankfurt/Main
Jahr
2021
Lesealter
10-11 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
12,00 €
Bewertung
eingeschränkt empfehlenswert

Teaser

Hanna und ihr Bruder haben Sommerferien. Die Dritte im Bunde ist Hannas beste Freundin, die auch wie die beiden Geschwister aus finanziellen Gründen nicht in den Urlaub fahren kann. Es ist ein heißer Sommer, aber die drei haben schon den größten Teil ihres Ferientaschengeldes ausgegeben. Da wird Frau Bergmann, die Mutter der Geschwister, gebeten, ihren alleinstehenden Urgroßonkel Otto für einige Zeit bei sich aufzunehmen, damit er sich von einer Operation erholen kann. Da ihre beiden Kinder Ferien haben und die Betreuung mit übernehmen können, sagt sie zu. Der Urgroßonkel, kurz Ur-Otto genannt, sorgt schon bald durch sein ungewöhnliches Verhalten für aufregende Ferientage und viele Überraschungen.

Beurteilungstext

Die Hauptfigur, Herr Otto Pelletier, genannt Ur-Otto, ist ein ganz besonderer Mensch: Er ist zwar hochbetagt, aber noch sehr rüstig und lebt eigentlich allein. Sein wahres Alter wird erst sehr spät „gelüftet“. Bei Familie Bergmann soll er sich von einer Blinddarmoperation erholen. Ur-Otto sagt: „Ich liebe das Reisen und die Damen liebe ich auch.“ (S. 41) Diese werden von ihm stets bezeichnet als „meine schöne Blume“, „meine süße Blume“ oder „min Seuten“, aber diese Liebe führt bei ihm öfter zu einem bedenklich distanzlosen Verhalten gegenüber Frauen und Mädchen. Nach 75 Jahren Mitgliedschaft im Gesangsverein besitzt er einen großen Fundus an verschiedensten Liedern, die er zu jeder Gelegenheit zum Besten gibt. Er trinkt gern Alkohol und raucht Zigarre. Es ist nicht verwunderlich, dass er aufgrund seines hohen Alters manche Dinge nicht so richtig nachvollziehen kann und sich häufiger wiederholt.

Die Jugendlichen Hanna, Bergmann und Carina sind drei weitere wichtige Personen in diesem Roman, die, statt irgendwo ihre Sommerferien verbringen zu können, mit der Situation konfrontiert werden, einen sehr alten Menschen zu betreuen, der ihnen zudem noch völlig fremd ist.

Hanna ist diejenige, die immer sehr vernünftig und überlegt argumentiert, aber auch wenig spontan und eher zögerlich ist. Ihre Freundin Carina, die im selben Haus wohnt und sich ständig bei Familie Bergmann aufhält, ist das genaue Gegenteil. Sie sieht alles unkompliziert, ist sehr unternehmungslustig und findet schnell durch ihre offene Art eine gute Beziehung zu Ur-Otto, da sie ihn so, wie er ist, zu nehmen weiß. Sie vermutet gar einen reichen Erbonkel in ihm.

Aber sie ist auch letztlich diejenige, die durch ihre forsche und oft auch unbedachte Art dafür verantwortlich ist, dass die ganze Situation mit dem alten Herrn allmählich aus dem Ruder läuft. Sie ist der Meinung, dem vor der Pleite stehenden Bioladen von Frau Bergmann könne nur Werbung helfen: Werbung, die deutlich macht, dass der Verzehr biologischer Lebensmittel gesund ist und für ein langes Leben sorgt. Als bestes Beispiel propagiert sie Ur-Otto.

Hannas Bruder, der nur Bergmann genannt wird (sein richtiger Vorname wird nie erwähnt), steht der ganzen Situation recht skeptisch gegenüber. Er hält sich, wann immer möglich, aus der Betreuung Ur-Ottos heraus und entzieht sich einer Verantwortung, indem er verschwindet. Auch Frau Bergmann hat so gut wie nie Zeit, sich um ihren Urgroßonkel zu kümmern. Sie ist hauptsächlich mit ihrem von der Pleite bedrohten Bioladen beschäftigt und damit voll ausgelastet.

Die Autorin nutzt im Aufbau ihrer Geschichte zwei Stilelemente: Erstens werden immer wieder bestimmte Hinweise eingestreut und zweitens einem Gegenstand eine fast magische Funktion zugeschrieben. Mit den vorausblickenden Hinweisen wie „So alltäglich können Wunder manchmal anfangen“ (S. 20) oder „Sie sollte recht behalten“ (S. 37) oder „Und wie sich schnell herausstellte, hatte er recht daran getan“ (S. 46) soll neugierig auf den Fortgang der Handlung gemacht werden. Der besondere Gegenstand ist das Telefon, das mit seinem Klingeln stets eine gravierende, neue Entwicklung des Geschehens ankündigt. Auf diese Weise sorgt die Autorin für eine gewisse Spannung, die bis zum Ende der Geschichte erhalten bleibt.

Geht man davon aus, dass es das Anliegen der Autorin ist, auf das durchaus wichtige Thema des Umgangs mit alten Menschen in unserer Gesellschaft aufmerksam zu machen, so schießt sie jedoch mit der starken Überzeichnung des alten Mannes erheblich über das Ziel hinaus. Auch wenn sie deutlich zu machen versucht, wie schwer die Gratwanderung zwischen eigenständigem Leben und benötigter Hilfe für einen so alten Menschen und natürlich auch für das Umfeld ist, das mit seinen Marotten, Sonderlichkeiten und Erfahrungen eines sehr langen Lebens umgehen muss, so wurde die Figur Ur-Otto hier komplett überfrachtet.

Zunächst erscheinen einige Erlebnisse der drei Jugendlichen mit dem Onkel noch lustig und komisch, und die Geschehnisse entwickeln sich mit einer rasanten Dynamik, weil immer mehr Eigenheiten Ur-Ottos offenkundig werden. Aber spätestens bei der Schwimmbadszene und den Zeitunginterviews, ganz zu schweigen von dem Auftritt in der Fernsehshow mit den drei Überhundertjährigen bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Hannas Freundin Carina instrumentalisiert in ihrem blinden Aktionismus, Werbung für den Bioladen zu machen, den alten Mann und nimmt in Kauf, dass er auf peinlichste Weise „vorgeführt“ wird.

Das alles ist in keiner Weise glaubwürdig, und es ist fraglich, ob man auf diese Weise junge Leser*innen für dieses Thema gewinnen kann. Auch die vielen Liedanfänge, die Ur-Otto schmettert, werden in der Mehrzahl den jugendlichen Leser*innen nicht bekannt sein, und es erscheint zweifelhaft, ob damit die Leselust befördert wird. - Etwas weniger Chaos und weniger Übertreibung hätten dieser Geschichte über ein durchaus wichtiges Thema gut getan.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von MlMs; Landesstelle: Niedersachsen.
Veröffentlicht am 03.01.2022

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