Und alles neu macht der Mai

Autor*in
Kordon, Klaus
ISBN
978-3-407-75602-2
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
450
Verlag
Beltz & Gelberg
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
Weinheim
Jahr
2021
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiFreizeitlektüreKlassenlektüre
Preis
22,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Im Januar 1945 flieht die 16-jährige Rena mit Mutter und Geschwistern vor dem Einmarsch der Russen im Warthegau. Nach einer überaus beschwerlichen Zugfahrt wird die Familie im norddeutschen Dorf Kewenow einquartiert. Dort müssen sie hart arbeiten für ihre karge Unterkunft und die kaum ausreichende Ernährung. Rena verliebt sich in Klaas, dessen Vater von den Nazis ermordet wurde. Durch ihre Gespräche mit Klaas bekommt sie einen zunehmend kritischeren Blick für das, was in Nazideutschland passiert ist.

Beurteilungstext

In seinem Roman „Und alles neu macht der Mai“ thematisiert Klaus Kordon die Zeit von Januar 1945 bis zum Januar 1946. Der Buchtitel – er bezieht sich auf den Mai 1945 als Zeitpunkt der Kapitulation Nazi-Deutschlands – ist wohl eher ironisch gemeint; denn abgesehen davon, dass keine Bomben mehr geworfen wurden, waren das gesellschaftliche und wirtschaftliche Chaos und die Belastungen der Bevölkerung nach dem langen Krieg längst noch nicht ausgestanden.
Erzählt wird in Form längerer Tagebuchaufzeichnungen aus der Ich-Perspektive der 16-jährigen Rena. Ihre Familie war ein paar Jahre zuvor von Frankfurt in die Nähe des ehemals polnischen Posen versetzt worden. Inzwischen ist der Vater („Pappka“) eingezogen worden, die Mutter muss sich allein um die vier Kinder kümmern. Der Vormarsch der russischen Armee wird zunächst aufgrund offizieller Angaben als nicht relevant angesehen, obwohl sich führende Nazis längst Richtung Berlin abgesetzt haben. Die überstürzte Flucht der Familie erfolgt dann gerade noch rechtzeitig, wenngleich unter chaotischen Bedingungen. Das neue Leben in Kewenow besteht vor allem aus harter Arbeit. Für die dort Einheimischen gelten die Zugereisten als „Polacken“, ganz einfach weil sie aus dem ehemaligen Polen gekommen ist. Reibereien sind immer wieder an der Tagesordnung, weil alle mehr oder weniger hungrig und arm sind und nicht das Wenige teilen wollen.
Wie es kommen konnte zu einer solchen Situation, die mit der üblichen Propaganda so gar nicht übereinzustimmen scheint, wird von einem Großteil der Bevölkerung allenfalls ansatzweise hinterfragt – und zumeist mit wohlfeilen Floskeln erklärt. Das ändert sich für Rena erst dann, als sie Klaas kennenlernt. Der Sohn des einstigen Kewenower Pastors hört verbotenerweise BBC und hat durch geschmuggelte Kassiber erfahren, dass sein Vater im Gefangenenlager nicht an irgendeiner Krankheit verstorben ist, sondern so wie viele andere, die sich gegen das Regime zu Wort gemeldet haben, offenbar ermordet wurde. Durch ihn lernt Rena, die vermeintlichen Erklärungen, verharmlosenden Ausreden und Entschuldigungen ihres inzwischen aus Krieg und Gefangenschaft zurückgekehrten Vaters nicht einfach zu akzeptieren.
Spannend und nicht selten sehr emotional lässt der Autor seine jugendliche Protagonistin erzählen, wie schwer es ihr fällt, das vertraute, nationalsozialistisch geprägte Umfeld neu deuten zu müssen und neue eigene Lebensziele zu finden. Kordon entwickelt in seinem exzellent recherchierten Roman die einzelnen Kriegs- und Nachkriegsszenerien ohne jede Hektik, so dass man sich sehr gut in die jeweilige Situation der Familie hineinversetzen kann. Ihm gelingt eine Beschreibung, die nichts beschönigt oder verteufelt, dabei keinerlei Nachkriegsproblematik auslässt, aber auch niemals moralisierend daherkommt. Jeder, der in den Jahren danach aufgewachsen ist, kennt die „Totschlag“-Argumente der Kriegsgeneration, die versuchen musste, mit dem Trauma des Erlebten auf irgendeine Weise fertig zu werden, jedoch viel zu selten ehrlich und umfassend darüber geredet hat.
Insofern ist Kordon ein faszinierender, dabei gleichermaßen kritischer wie erhellender und sehr persönlicher Abriss über eine Phase der jüngeren deutschen Geschichte gelungen, deren Nachwirkungen bis heute spürbar sind.
Im Hinblick auf die jüngsten Kriegsereignisse in der Ukraine hat das Buch besondere Aktualität bekommen. Es ist geeignet für Jugendliche ab 14 Jahren, ganz besonders auch für solche, die gerne mehr über die persönlichen, aber auch gesellschaftlichen Bedingungen wissen möchten, unter denen ihre Groß- und Urgroßeltern gelebt haben. Oder mehr noch: wie sie und andere einen Weltkrieg überlebt haben. Das Buch mag sich, da aus Sicht einer jungen Frau geschrieben, etwas mehr an Leserinnen wenden. Es ist aber alters-, geschlechts- und generationenübergreifend als Lektüre geeignet, auch im schulischen Geschichtsunterricht, wenn es um die Zeit am Ende des 2.Weltkriegs und unmittelbar danach geht.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Gerd Klingeberg; Landesstelle: Rheinland-Pfalz.
Veröffentlicht am 04.01.2023

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