Swing High. Tanzen gegen den Sturm

Autor*in
Franz, Cornelia
ISBN
978-3-8369-6105-9
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
216
Verlag
Gerstenberg
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
Hildesheim
Jahr
2022
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
16,00 €
Bewertung
empfehlenswert

Teaser

Mit dem „Tiger Rag“ oder dem „Lambeth Walk“ gegen Hitlers Regime? Ist das mutig oder einfach nur gedankenlos? Die „Swing-Boys“ in Hamburg stellten sich diese Frage nicht. Es ging ihnen um einen freien Lebensstil, um Spaß und Selbstbestimmung – dass sie mit diesen Idealen zwangsläufig in Gegensatz zum Nationalsozialismus geraten würden, nahmen sie Kauf. Cornelia Franz` Roman erzählt beispielhaft von dieser ganz besonderen Oppositionsbewegung.

Beurteilungstext

Hamburg im August 1939. Henri ärgert sich, dass seine Eltern ihn telegrafisch aufgefordert haben, sofort seinen Sommerurlaub bei einer befreundeten Familie in England abzubrechen und nach Hause zu kommen. Der Grund: „ES KANN JEDEN MOMENT LOSGEHEN.“ (S. 9) Was „es“ bedeutet, ist klar – sie befürchten den Ausbruch des Krieges, der später als Zweiter Weltkrieg bezeichnet werden wird. Damit haben sie recht und das Leben von Henri verändert sich ebenso grundlegend wie das von Millionen Menschen auf der ganzen Welt.
Henri besucht ein Gymnasium. Sein Schulleiter ist ein strammer Nazi, der die Schüler „im deutschen Sinne“ drillt und drangsaliert. Den HJ-Dienst schwänzt Henri meist. Mit seinen Eltern kommt er alles in allem gut zurecht, auch wenn ihn stört, dass sein Vater seine regimekritische Haltung sorgfältig im privaten Raum verbirgt. Henri ist all das meist egal, denn er hat eine Leidenschaft, die für ihn Freiheit, Lebenslust, Authentizität bedeutet – Jazz und Swing. Mit seiner Clique feiert er Swingpartys, die neuesten, kaum noch zugänglichen Platten aus Amerika werden gehört und getauscht, es wird gefeiert, getrunken, Quatsch gemacht, gestritten, geflirtet und geliebt – vor allem aber getanzt. Das alles aber war in Nazideutschland nicht so normal und alltäglich, wie es klingt. Swing und Jazz waren als „undeutsch“ diffamiert. Henri und seine Freunde versuchen, den öffentlichen Druck zu ignorieren oder sie opponieren in Ansätzen dagegen. Dass sie damit auf Dauer keinen Erfolg haben, wird schnell deutlich. Hanna und Eduard, die jüdischen Freunde, müssen emigrieren; öffentlich zugängliche Tanzveranstaltungen mit „ihrer“ Musik gibt es kaum noch; die HJ verfolgt sie.
Henri versucht, seinen eigenen Weg zu gehen, sich nicht anzupassen. Seine Kumpels, vor allem sein bester Freund Fritz, helfen ihm dabei. Dass er sich in Inge verliebt und diese Liebe erwidert wird, beflügelt ihn zusätzlich. Aber das Regime zieht die Schlinge um die Jugendlichen immer enger. Henri und Inge werden bei einer wilden Party von der Gestapo verhaftet und geschlagen. Der Alltag wird immer trister und ist von vielen Einschränkungen geprägt; bald gehören auch Nächte im Luftschutzkeller zur Normalität. Einzelne der Freunde werden zur Wehrmacht eingezogen.
Nach einer öffentlichen Aktion am Hauptbahnhof, bei der satirisch der Hoffnung auf Frieden und Normalität Ausdruck gegeben wird, verhaftet die Gestapo Henri erneut. Einiges deutet darauf hin, dass Inge ihn verraten hat – erpresst wegen ihres dessertierten Bruders. Im Gefängnis berichtet Henri Robert, einem Mitgefangenen, von seiner Geschichte.
Cornelia Franz stellt eines der faszinierendsten Kapitel der Jugendopposition gegen den Nationalsozialismus dar. Neben kleinen, eindeutig politisch ausgerichteten Widerstandszellen und der wilden Opposition von „Edelweißpiraten“ und „Meuten“ gab es Ender dreißiger Jahre mehrere tausend „Swing-Kids“ in deutschen Großstädten. Ihre Opposition war nicht primär politisch orientiert, vielmehr ging es ihnen darum, sich dem Anpassungsdruck der Jugendorganisationen der Nationalsozialisten zu entziehen, ein freies und selbstbestimmtes Leben zu führen und nicht zuletzt natürlich die verehrte Musik nicht nur zu hören, sondern geradezu zu zelebrieren. Von staatlicher Seite wurde diese Bewegung verfolgt und brutal unterdrückt – mit Schulausschluss, Geldstrafen, aber auch mit Verhaftung, Folter und sogar Ermordung.
Der Roman erzählt einen Zeitraum vom Sommer 1939 bis zum Frühjahr 1941. Die inhaltliche Klammer bilden die kurzen, immer wieder eingeschobenen, Unterhaltungen zwischen Henri und seinem Mithäftling Robert im Gestapogefängnis. Ein Epilog aus dem Jahre 1953 beschließt das Buch. Erzählt wird in der dritten Person, mit dem Fokus auf Henri. Unter den anderen Protagonisten dominieren die Freunde – Fritz, Konni, und natürlich Inge; als eine Art Antagonist spielt der HJ-Führer Olaf eine wichtige Rolle. Die Persönlichkeiten werden gut herausgearbeitet. Die Erwachsenen treten eindeutig hinter den Jugendlichen zurück; bilden eher eine Folie, vor denen sich die jugendlichen Lebens- und Gefühlswelt abbildet.
Die Verfasserin hat gründlich recherchiert – von den Spezifika des Lebens im Nationalsozialismus über den Swing und die Partyrituale der Swing-Jugend bis hin zum Lokalkolorit Hamburgs und dem damaligen Jugendslang. Ein zeitgenössischer Stadtplan Hamburgs auf den inneren Umschlagseiten und ein Nachwort mit Literaturhinweisen bieten zusätzlich Orientierung. Der Roman ist straff, spannend und gut lesbar erzählt, wobei der Sprachduktus sehr einfach gehalten ist und vor allem die Dialoge an einigen Stellen etwas hölzern wirken. Am wenigsten glaubwürdig sind die Dialoge im Gefängnis – es ist kaum nachvollziehbar, dass innerhalb weniger Stunden zwei junge Männer aus ganz unterschiedlichen Schichten und mit sehr verschiedenen Einstellungen – der Swing-Boy Henri und der junge Kommunist Robert – ein grundlegendes Vertrauensverhältnis zueinander aufbauen.
Das Buch ist lesenswert und beleuchtet einen wenig bekannten Aspekt der Opposition gegen das Naziregime.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von RPKJ; Landesstelle: Rheinland-Pfalz.
Veröffentlicht am 15.03.2022

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