So weit die Wolken ziehen
- Autor*in
- Fährmann, Willi
- ISBN
- 978-3-401-06299-0
- Übersetzer*in
- –
- Ori. Sprache
- –
- Illustrator*in
- –
- Seitenanzahl
- 490
- Verlag
- Arena
- Gattung
- –
- Ort
- Würzbug
- Jahr
- 2008
- Lesealter
- 10-11 Jahre12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
- Einsatzmöglichkeiten
- Bücherei
- Preis
- 11,95 €
- Bewertung
Schlagwörter
Teaser
Der Roman erinnert an die 1943 beginnende “Kinderlandverschickung”: Aus Angst vor Luftangriffen werden Schulen geschlossen und die größeren Kinder, hier Mädchen aus dem Ruhrgebiet, in sicheren Gebieten lagermäßig untergebracht. Wie ergeht es dort den vom “Endsieg” überzeugten Schülerinnen, ihren Lehrern und Betreuern? Ihre “Flucht” vor den Amerikanern und Russen aus Österreich zurück in die Heimat zerstört am Ende alle Illusionen.
Beurteilungstext
Die Handlung umschließt viele Einzelschicksale und schafft so für heutige Leser ohne Schwarz - Weiß - Malerei einen ganz spezifischen Zugang zu authentischen Ereignissen der letzten Kriegsjahre, der emotional sehr berührt. Die Auswahl der Personen macht das Buch lesbar für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Im Mittelpunkt stehen insbesondere innere und äußere Konflikte der 9-jährigen Ruth, die unter dem dem Lagerregime mehr leidet als ihre ältere Schwester. Jugendlichen Lesern bieten sich die Zwillungsschwestern Anna und Lydia als Identifikationsfiguren an. Besonders Anna setzt sich solidarisch und selbstlos für andere ein. Das Mädchen erlebt, wie ihre erste Liebe, ein verwundeter, armamputierter Soldat noch nach Kriegsende wegen “Wehrkraftzersetzung” von SS- Leuten erschossen wird. Sehr differenziert werden die Erwachsenen, die Lehrer, Betreuer, die eingesetzten “LMF” (Lagermädelführerinnen ) hinsichtlich ihrer Charaktere und ihrer Haltung zum Nationalsozialismus dargestellt. Dr. Stolten, dem die Gesamtverantwortung für die Auflösung des Lagers und die Rückführung der Mädchen übertragen wird, gehört trotz seiner Mitgliedschaft in der NSDAP zu den Sympathieträgern, ebensso die Krankenschwester Nora. Eingeblendet sind auch familiäre Befindlichkeiten. Annas Oma erzählt z. B., warum der Vater wegen einer Tulpenzüchtung in seiner Gärtnerei in die NSDAP eingetreten ist. Von Ruth erfährt man, warum ihr 15-jähriger Bruder bei der Musterung für den Volkssturm beinahe bei der Waffen-SS gelandet wäre.
Die Story ist bezogen auf die Jahre 1943 bis 1945 geschichtsträchtig breit angelegt und rückt anhand der ausgewählten Situationen historische Ereignisse der letzten Kriegs- und ersten Nachkriegstage in den Blickpunkt. Beesonders Jugendliche werden angeregt, sich wertend mit dem Phänomen Nationalsozialismus auseinanderzusetzen: Liedgut und Losungen dieser Zeit durchdringen den Alltag. Kirchenbesuche und Kontakte zum Pfarrer finden heimlich statt. Obwohl Weihnachten als Wintersonnenwende zu feiern ist, fertigen die Mädchen mühevoll eine Krippe aus Wachsresten. Hunger, Kleider- und Schuhknappheit, Krätze, Wanzen, Läuse und Scharlach erschweren das Leben. Als “Muntermacher” werden Kinobesuche, Arbeitsgemeinschaften, Skifahrten organisiert. Die älteren Mädchen werden zum Notabitur geführt, denn der Krieg rückt immer näher. Ruth versteht nicht, warum die polnische Küchenhilfe Lutka verhaftet wird, nur weil sie sich für einen abgestürzten polnischen Piloten einsetzt. Während die “LMF” mit den Kindern das Verhalten bei Angriffen von Tieffliegern üben, verfolgen einige Lehrer heimlich die Frontberichte auf BBC und bereiten für den Karfreitag des Jahres 1945 den Abmarsch vor. Sie “flüchten”... reihen sich ein in den “Treck” der vielen versprengten Menschen auf der Suche nach einer Bleibe. Bei der im Roman breit angelegten situativen Schilderung der letzten Kriegs- und ersten Nachkriegstage stehen die individuellen Schicksale der Hauptpersonen, ihr Überlebenskampf, stets im Brennpunkt des Geschehens. Die Ängste vor der Besatzungsmacht, das Gefühl der Heimatlosigkeit, das Betteln und Tauschen, die Sorge um verschollene Familienmitglieder werden wie Sequenzen in einem Filmszenarium aneinander gereiht. In eingeblendeten Episoden wird z.B. die Existenz von Konzentrationslagern und Euthanasieanstalten jetzt erst offenbar. Auf diese Weise gelingt es dem Autor, viele Erinnerungen an das Geschehene wachzuhalten und nachfolgende Generationen immer wieder aufs Neue zum Hinterfragen anzuregen.