Kevin und das Wurmloch im 13. Stock

Autor*in
Linker, Christian
ISBN
978-3-522-18527-1
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
255
Verlag
Thienemann
Gattung
Buch (gebunden)Fantastik
Ort
Stuttgart
Jahr
2020
Lesealter
10-11 Jahre12-13 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
13,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Kevin erhält einen seltsamen Brief und gerät über den 13. Stock seines Hauses, den es eigentlich nicht gibt, in ein Abenteuer in vielen parallelen Welten. Beteiligt ist jeweils ein Kind aus jeder der parallelen Welten, und sie leben alle in quasi demselben Haus, derselben Wohnung, demselben Zimmer, und benutzen denselben Fahrstuhl, um sich im "Multiversum" zu treffen.

Beurteilungstext

Kevin ist eher ein Außenseiter, ein bisschen nerdig, und er liest gerne, was ihn in den Augen von Mutter und Schwester schon zu einem Genie macht, wie er selber trocken anmerkt. Doch ein Genie ist er wohl nicht, zumindest ist er nicht sehr motiviert, viel für die Schule zu machen. Und eigentlich will er der Aufforderung, in den 13. Stock zu kommen, gar nicht folgen, er hält das für einen schlechten Scherz und will sich mit seinem Buch verkriechen und seine Ruhe haben. Doch versuchsweise drückt er auf das Kaugummi mit der draufgemalten "13", und tatsächlich: Der Fahrtstuhl fährt über den zwölften Stock hinaus und öffnet sich zu einem seltsamen Raum, in dem er all die Kinder aus den parallelen Welten kennenlernt.

Linker verknüpft bei der Gestaltung der Welten die Faszination an der Vorstellung, es könne parallele Universen geben, in denen vieles so ist wie bei uns und vieles dann wieder auf eine seltsame Art anders, mit einer fast kindlichen Lust am fantasievollen und auf Komik abzielenden Fabulieren. Die Grundidee ist, dass in jeder Welt ein Kind in genau diesem Hochhaus in genau dem Zimmer lebt und quasi eine Parallelversion von all den anderen Kindern ist. Diese Kinder haben eine nicht näher ausgeführte Verbindung miteinander und treffen sich, besuchen sich gegenseitig und erkunden die fremden Welten der anderen. Wenn sie aber die Phase der Kindheit verlassen und in die Pubertät kommen, beginnt das "große Vergessen", und sie haben bald keinen Zugang mehr zum "Multiversum". Ein bisschen erinnert das an Peter Pan, den auch nur die Kinder kennen, die Erwachsenen haben vergessen, dass sie ihn kannten, und auch an das "Romantische Kind", das im Kontakt mit dem Spirituellen steht, diesen aber mit dem Erwachsenwerden verliert.

Ganz deutlich wird es nicht, aber Linker macht ein paar winzige Andeutungen, die Hinweise auf die Entstehung des Multiversums geben. Irgendjemand hat dieses Haus wohl erschaffen und damit die Möglichkeit für diese Kinder, ihre Welten zu verlassen. Eine "weise Alte", die in jeder Welt eine unauffällige, aber zentrale Rolle spielt (und in Kevins Welt Frau Schrödinger heißt und eine Katze besitzt), hat mehr Wissen über dieses Phänomen als die Kinder, die es einfach genießen, fremde Umgebungen zu erkunden und Freunde zu finden, die ganz anders sind als sie selbst. Die Welten werden von den Kindern nach herausstechenden Merkmalen benannt. Es gibt das Latinoversum (hier leben die Menschen ein bisschen wie im antiken Rom), das Minzoversum (Menschen rauchen Minztabak), das Indioversum (die Menschen leben ein bisschen wie die Azteken) und viele andere. Kevins Welt wird von den anderen Kindern sehr schnell "Schokoversum" genannt, denn Schokolade gibt es nur dort, und die finden sie alle sehr lecker.

Das große Abenteuer aber ist, dass die Kinder, die sich gegenseitig "Kollegen" nennen, von den [Anderen] verfolgt werden. Die [Anderen] sind vier Jugendliche, die ehemals "Kollegen" waren und sich gegen das Vergessen gewehrt haben, um ihre Freundschaft nicht zu verlieren. Die Hintergründe des Phänomens und die Verwicklungen, die durch diesen Wunsch entstanden sind, sind recht komplex und werden hier nicht im Detail erläutert. Wichtig ist, dass es einen Konflikt zwischen den "Kollegen" und den [Anderen] gibt, der die spannende Handlung des Buches bestimmt und am Ende aber, auch durch Kevins Ideen, gelöst wird.

Wie in vielen fantastischen Erzählungen für Heranwachsende entwickelt sich Kevin durch die Abenteuer und Herausforderungen weiter und wächst über sich hinaus. Kevin ist kein durch und durch unglücklicher Außenseiter, sondern einfach ein Junge, der zurückhaltend ist, der versucht, sich nicht zu sehr von anderen ärgern zu lassen, und der ein paar gute Freunde hat, wenn auch nicht viele. Er kommentiert das Geschehen mit trockenem Witz und lässt uns an seinen Gedanken und seinem Erstaunen teilhaben.

Das Buch hat Tempo und Witz, und hinter der lockeren Sprache und Atmosphäre scheinen auch ernstere Gedanken und Themen auf. Doch in der Hauptsache ist es wirklich gut erzählte Unterhaltung und eine sehr originelle Ausgestaltung der mit der Quantenphysik zusammenhängenden Theorie der parallelen Welten. Christian Linker schreibt auf seiner Webseite, er würde nicht viel von Quantenphysik verstehen, aber er verstünde so viel, dass die Quantenphysik den Blick auf unsere Welt erneuern kann, und das hätte sie mit Kinderliteratur gemeinsam. Und hier liegt dann auch sicher ein großer Reiz für Leser*innen: Die parallelen Welten mit ihren Ähnlichkeiten und Unterschieden schärfen den Blick für die eigene Welt, zeigen, was vielleicht nicht gut läuft, aber auch, was daran zu Hause ist und wichtig. So wie Kevin am Ende spürt, wie sehr er seine Schwester mag, die er sonst immer "die Tussi" nannte (und sie ihn "Hirni").

Das Ende lässt offen, ob es vielleicht eine weitere Geschichte über Kevin und seine "Kollegen" und natürlich das Multiversum geben könnte.

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Diese Rezension wurde verfasst von Gudrun Stenzel; Landesstelle: Hamburg.
Veröffentlicht am 02.04.2020

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