Herz Slam

Autor*in
Konecny, Jaromir
ISBN
978-3-473-40131-4
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
383
Verlag
Ravensburger
Gattung
Ort
Ravensburg
Jahr
2015
Lesealter
14-15 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
12,99 €
Bewertung
empfehlenswert

Teaser

Lea und Sophie, Gymnasiastinnen im 10. Schuljahr, nehmen an einem einwöchigen Poetry-Slam-Workshop teil. Dieser ist ausgeschrieben als "Integrationsprojekt", in dem "Gymnasiasten mit Schülern aus bildungsfernen Schichten" (S. 31) gemeinsam in das Schreiben von Geschichten und Gedichten eingeführt werden. Nur schwer gelingt es beiden Seiten, die Vorurteile abzubauen und sich ‚frei zu schreiben'.

Beurteilungstext

Die beiden Mädchen sind, obwohl völlig konträr in ihrem Auftreten und Selbstbewusstsein, seit vielen Jahren unzertrennliche Freundinnen. Lea, deren Vater eigentlich Archäologe ist und nun an ihrer Schule Geschichte unterrichtet, möchte unbedingt Schriftstellerin werden, weil ihr das Schreiben hilft, ihr geringes Selbstvertrauen zu verdrängen, indem sie ihre Emotionen, Ängste, Wünsche in dieser Form zum Ausdruck bringt. Leas Eltern sind von dieser Zukunftsperspektive wenig begeistert. Sophie stammt aus einem wohlsituierten Elternhaus, der Vater besitzt eine Anwaltskanzlei, die Mutter ist renommierte Innenarchitektin - beide leben getrennt, aber Sophie kennt weder finanzielle Grenzen noch mitmenschliche Wertschätzung. Hauptschüler sind für sie der ‚gesellschaftliche Abschaum', was sie in jeder erdenklichen Weise zu erkennen gibt. Während Lea nach Harmonie und Entwicklung strebt, verharrt Sophie in ihrer ‚sozial verkrusteten' Wertestruktur und empfindet keinerlei Notwendigkeit, diese zu ändern. Dies zeigt sich auch in ihrer Schaffenskultur: Lea saugt die Hinweise der professionellen Workshopleiter Ivo und Lana buchstäblich in sich auf, um neue Ideen und Anregungen für das Schreiben zu bekommen, Sophie bringt immer wieder ihr Gedicht ‚Zeitlupe' ein, das sie bereits in der Schule geschrieben und präsentiert hat - eine kreative Entwicklung findet bei ihr nicht statt. Sie ist zu sehr auf Äußerliches ausgerichtet, will ihren Status und ihre ‚Fassade' als ‚Superfrau' nicht aufgeben. Bereits bei dem ersten Zusammentreffen mit den anderen Workshopteilnehmern kristallisieren sich die ‚Alphatierchen' heraus: die Gymnasiastin Sophie und der Hauptschüler Bruce - während Sophie das Einsteigen in den Bus für einen ‚Catwalk' ihres knapp bekleideten Model-Körpers nutzt, hängt Bruce den absoluten ‚Proleten' heraus, bekleidet mit grauer Jogginghose und weißem Muskelshirt, und grabscht Sophie an. Peinlicher kann es in Sachen ‚Vorurteile' nicht werden, das empfindet auch Lea, die wie ein aufgeregtes Mäuschen hinter Sophie durch den Bus zittert.
Für Bruce und Sophie sind die Ziele klar - jeder will seine ‚Schlacht' gewinnen. Auf Lea warten viele Überraschungen - sie trifft ihre Jugendfreundin Julia wieder, die nach der vierten Klasse zur Haupt- bzw. Mittelschule wechselte, und verliebt sich ad hoc in Linus, zu dem sie sich aus Furcht, mit ‚bildungsfernen Schichten' in Kontakt zu kommen, nicht bekennen kann. Dieses Problem zieht sich als roter Faden durch die Handlung hindurch, ebenso wie Leas Naivität in alltäglichen Dingen.
Während sie beim Schreiben dank ihrer Offenheit die Impulse der anderen Teilnehmer und der Workshop-Leiter kreativ und gewinnbringend ‚verarbeitet', wirkt sie Linus gegenüber völlig ‚verklemmt', verpasst alle Chancen und Hilfen, die Linus ihr bietet. Diese emotionale ‚Odyssee' wirkt für den Fortschritt der Handlung an manchen Stellen eher retardierend, ahnt der Leser doch das Happy End voraus.
Insgesamt erfährt man viel über den Poetry Slam, seine Besonderheiten und ‚Eckpfeiler', aber auch seinen Bezug zum Alltäglichen. Daher wundert es nicht, dass die Sprache oft äußerst derb ist - vielleicht soll auf diese Weise die zu Beginn des Buches aufgezeigte Trennung zwischen ‚bildungsnah' und ‚bildungsfern' - wie auch immer diese Adjektive definiert sein mögen - abgebildet werden.
Die Protagonistin Lea, aus deren Ich-Perspektive das Geschehen wiedergegeben wird, stellt sich, ihr Auftreten und ihr Handeln immer wieder in Frage. Dies geht sogar so weit, dass sie beim entscheidenden Auftritt nicht mitmischen will, sondern von den anderen gewissermaßen auf die Bühne gezwungen wird. Ihre Figurenzeichnung wirkt für mich in vielen Punkten zu unsicher, zu stark an anderen orientiert, teilweise zur Peinlichkeit entblößt: Warum thematisiert der Autor immer wieder Leas intime Dinge, mit denen sie nicht umzugehen weiß?
An vielen Stellen wünschte ich mir, dass die Figuren, einige werden nur unter ‚Überbegriffen' zusammengefasst und bleiben namenlos, weniger klischeehaft skizziert würden. Die Aufsicht führenden Lehrkräfte scheinen der ‚Feuerzangenbowle' entsprungen zu sein, aus der Vielzahl der Teilnehmer erhalten nur einige wenige ein ‚Profil', das wiederum stark von ihrer gesellschaftlichen oder schulischen Zugehörigkeit geprägt wird. Veränderungen treten ein, wenn es zu gemeinsamen Schaffensprozessen kommt, wenn Ivo und Lana ‚Aufgaben' an die Teilnehmer verteilen, die es zu lösen gilt. Die Ergebnisse beweisen, dass kreatives Wirken in keinster Weise an eine gesellschaftliche Stigmatisierung gebunden ist - manch einer der Hauptschüler liefert Entwürfe, die Sophies immer gleichbleibende ‚Zeitlupe' deutlich in den Schatten stellen.
Das Finale, der Poetry Slam in Würzburg, zeigt, dass die Teilnehmer nicht nur in ihrem künstlerischen Wirken, sondern auch in ihrer Teamfähigkeit und ihrem Miteinander weitergekommen sind: Die Gruppe bringt Lea dazu, auf der Bühne zu präsentieren, Bruce rückt mit seinem Werk auf den zweiten Platz, Julia auf den dritten.
Für mich erzielt Letzgenannte den eigentlich höchsten Gewinn: Sie verzichtet auf ihren dritten Platz zugunsten Sophies, der erst im Finale klar wird, als sie zum vierten Mal ihre nie veränderte ‚Zeitlupe' vorträgt, dass sie sich und ihr Schreibverhalten entwickeln muss.
Die Überschrift des Klappentextes ‚Dumm dichtet gut?' ist provokant wie die Geschichte selbst. Es bleibt zu hoffen, dass die zwischen den Zeilen schwingende Botschaft aufgrund der Klischeehaftigkeit den jugendlichen Lesern deutlich wird und diese sich selbst auf Vorurteile überprüfen. Daher ist das Buch empfehlenswert, eher für die Bücherei als für die Klasse, wobei eine ausführliche Besprechung zu empfehlen wäre. Für mich unpassend ist das Motiv von Leas Menstruation, das - insbesondere für Mädchen in der Pubertät - sicherlich ein Tabuthema darstellt. In dieser Hinsicht wünschte ich mir deutlich mehr Feingefühl von einem männlichen Autor - wie sollen Jungen und Mädchen im Unterricht reagieren, wenn dieses Motiv derart ‚dick' aufgetragen und ins Lächerliche gezogen wird?
Die von zahlreichen Profis zur Verfügung gestellten Texte, die teilweise in die Handlung eingebunden werden, runden das Buch ab und liefern ein buntes Bild an Beispielen, wie sich Poetry Slam darstellen kann.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von magic.
Veröffentlicht am 01.04.2016

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