Grenzgänger

Autor*in
Sax, Aline
ISBN
978-3-8251-5179-9
Übersetzer*in
Schweikart, Eva
Ori. Sprache
Holländisch/Niederlä
Illustrator*in
Seitenanzahl
496
Verlag
Urachhaus
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
Stuttgart
Jahr
2019
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
19,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Der historische Roman "Grenzgänger" der bekannten niederländischen Autorin und Historikerin Aline Sax erschien bereits 2015 in Holland, ist seit März 2019 auf Deutsch veröffentlicht und hat sowohl in den Niederlanden wie auch in Deutschland renommierte Preise erhalten, hier im Juni das "Jugendbuch des Monats". Diese Einstufung kann man nachvollziehen: Eindrucksvoll wird die deutsche Teilung am Beispiel einer Ostberliner Familie vom Mauerbau (1961) bis hin zur Grenzöffnung (1989) thematisiert.

Beurteilungstext

Beim Fall der Mauer ist die Autorin 5 Jahre alt. Ihre Kenntnisse aus diesem Zeitraum stammen also nicht aus eigener Erfahrung. Aber Aline Sax ist auch promovierte Historikerin und arbeitet u.a. für die historische Bildungseinrichtung "Gedächtnis-Kollektiv" an der Uni Gent. Dank dieser beiden Arbeitsschwerpunkte liest sich "Grenzgänger" wie von einer Zeitzeugin verfasst, glaubwürdig, kenntnisreich und authentisch.

Der Aufbau des Romans ist etwas ungewöhnlich, aber durchdacht und sinnvoll: Er ist in drei jeweils etwa 160 Seiten umfassende Teile untergliedert, wobei die Handlung chronologisch verläuft und die jeweilige Hauptperson aus der Ich-Perspektive, alle einer Ostberliner Großfamilie entstammend, berichtet, so dass alle wichtigen Ereignisse aus verschiedenen Blickwinkeln dargestellt werden und sich somit subtil ergänzen. Dabei kommen neben den spezifischen politischen Rahmenbedingungen auch unterschiedliche soziale Bereiche der Gesellschaft zur Geltung.

Im ersten Teil schildert der jugendliche Arbeiter Julian seine Erfahrungen und Erlebnisse. Er ist Maurer aus Ostberlin und als Grenzgänger bei einer Westberliner Baufirma tätig. In Westberlin leben seine Kollegen, hier lernt er auch Heike kennen und lieben. Die erzählte Zeit konzentriert sich auf das Jahr 1961, hier erfolgt für alle überraschend der Mauerbau und sein bisheriges Pendlerleben wird dadurch unmöglich. Jetzt geht es für Julian darum, nach Westberlin zu fliehen, was sich als sehr schwierig erweist, ihm aber schließlich gelingt.

An zeitgeschichtlichem Hintergrund erfährt der Leser hier eine Menge über die schlechte Versorgungslage, über die enge Einbindung der Heranwachsenden in die staatlichen Einrichtungen (z. B. FDJ-Einsatz bei der Ernte) und vor allem das allgemeine Misstrauen in der Bevölkerung wegen der Omnipräsenz der Stasi.

Im zweiten Teil steht Marthe, eine Nichte von Julian, mit ihrem Bruder im Zentrum des Geschehens. Durch sie bekommt man einen guten Einblick in das Studentenmilieu. Es dominieren die Angepasstheit der Studenten, die phrasenhafte Lehrtätigkeit der linientreuen Professoren, aber auch bescheidene Versuche von subversiver Oppositionsarbeit. So gehört Marthe mit ihrem Bruder einem geheimen Leseklub an, der etwa "1984" liest und bespricht und der schließlich kritische Flugblätter verfasst im Sinne von Hans und Sophie Scholl.

Das Geschehen konzentriert sich auf das Jahr 1977, als noch Hoffnung bestand, durch Kritik die sich verfestigenden Parteistrukturen aufbrechen und das Leben demokratischer gestalten zu können. Aber dann greift die Stasi zu und eindrucksvoll und bedrückend wird Marthes Verhörsituation in der Stasihaft geschildert bis hin zu ihrer überraschenden Freilassung.

Im dritten Teil steht Marthes Cousine Sybille im Mittelpunkt. Es ist das Jahr 1989. Sie ist Verkäuferin in einem Warenhaus, hat hier eine gute Freundin und einen Kollegen, mit dem sie sich befreunden möchte. Sie lebt mit in der Wohnung ihrer Großeltern. Als die Oma einen schweren Schlaganfall erleidet und im Koma liegt, möchte Sybille sie zwecks besserer ärztlicher Versorgung nach Westberlin bringen, was sich aber nicht realisieren lässt. Über ihren Arbeitskollegen gelangt Sybille zur kirchlichen Friedensbewegung, politisiert sich und beteiligt sich an den Protest-Demonstrationen zum 40. Jahrestag der DDR. Schließlich erlebt sie den Tag des Mauerfalls und gelangt in dieser Nacht zur Westberliner Adresse ihres 1961 geflüchteten Onkels Julian (siehe Teil 1).

Neben dem jeweiligen typischen Zeitkolorit erfährt man den immer rigider werdenden Einfluss der Stasi auf die gesamte Lebenswelt, lernt die infame Erpressung zur IM-Tätigkeit innerhalb dieser Familie kennen und sieht das Misstrauen und die Verunsicherung, durch die alle Lebensbereiche beeinflusst werden.

Und so wie die Autorin durch Quellenstudium diese furchtbare Zeit des kalten Krieges am Beispiel einer Ostberliner Großfamilie wieder lebendig werden lässt, so kann diese von allen Leserinnen und Lesern ab 14 Jahren mit Spannung und Erkenntnisgewinn nachvollzogen werden. Die Schreibweise ist flüssig, besteht aus überschaubaren Sätzen und ist mit häufiger wörtlicher Rede durchsetzt!

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von KS; Landesstelle: Niedersachsen.
Veröffentlicht am 04.07.2019

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