Flutzeit

Autor*in
Provoost, Anne
ISBN
978-3-357-00520-1
Übersetzer*in
Schmidt, Silke
Ori. Sprache
Niederländisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
400
Verlag
Altberliner
Gattung
Ort
Berlin
Jahr
2003
Lesealter
14-15 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
19,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Re Jana und ihr Vater, ein erfahrener Schiffsbauer, beteiligen sich am Bau eines großen Schiffes, dessen Bestimmung zunächst niemand genau zu kennen scheint. Als dann die große Flut kommt, wird klar, dass es sich um ein Rettungsschiff handelt. Aber wer darf nun mit auf das rettende Boot? Warum nur die Familie des Baumeisters und nicht die vielen Arbeiter und Helfer und auch nicht die Soldaten, die die Familie bis zuletzt schützen? Re Jana gelingt es in einem geheimen Versteck auf der Arche zu überleben, nicht zuletzt wegen ihrer Liebesbeziehung zu Ham, einem von Noahs Söhnen.

Beurteilungstext

“Flutzeit” ist ein ungewöhnlicher Roman, der aufwühlend und packend die alte biblische Geschichte von der Sintflut und der Arche Noah aus einer ungewöhnlichen Perspektive und mit sehr modernen Fragestellungen neu erzählt und gestaltet. Nach dem Lesen dieses Buches ist es kaum mehr möglich die idyllischen und harmonischen Vorstellungen von der Arche Noah, wie sie in vielen Büchern, Bildern und Kunstwerken lebendig sind, aufrecht zu erhalten. Meist stehen in diesen nämlich die Tiere im Mittelpunkt, die paarweise und in Harmonie zur Arche gehen, nicht die vielen Menschen, die durch den Ausschluss von der rettenden Arche dem sicheren Tod preisgegeben werden. All dies geschieht im Namen des “Unnennbaren”, dem Gott des Volkes des Baumeisters Noah. Dieses Volk ist ein nomadisches Volk, das insbesondere Re Janas Vater verachtet. Ebenso werden auch sie vom Baumeister und seinem Volk komisch angesehen und zunächst nur geduldet, weil deutlich wird, dass Re Janas Vater über viele Kenntnisse und Fähigkeiten des Schiffbaus verfügt, die der Baumeister für den erfolgreichen Bau des gigantischen Schiffes brauchen kann. Durch die Konfrontation und Begegnung mit dem Fremden, dem Unvertrauten und Anderen werden Sichtweisen in Frage gestellt und verändert. Dieses Prozess gestaltet die Autorin in der Annäherung des Mädchens Re Jana und des Jungen Ham, Noahs Sohn, die eine nicht unkomplizierte Liebesbeziehung eingehen, die von Vorurteilen, Ängsten und Wünschen bestimmt ist, so dass sie sie lange geheim halten und sie niemals widerspruchsfrei leben können.
Als die Anzeichen einer Flut deutlicher werden und klar wird, wozu der scheinbar absurde Schiffbau in der Wüste dient - das Überleben der auserwählten Familie Noahs und der Tiere zu sichern - wird die Gewalttätigkeit des Unternehmens und die fragwürdige Moral in großartig gestalteten Szenen überdeutlich: Warum sind die wenigen auserwählt? Warum müssen alle anderen, auch aus dem eigenen Volk der Rrattika, sterben? Warum kann man diesen Gott nicht gnädig stimmen? Ist die brutale Gewalttätigkeit des Bauherrn beim Schließen der Arche wirklich “rechtschaffen”? Was bedeutet hier überhaupt menschliches, moralisches Handeln; was ist Gerechtigkeit - solche Fragen evoziert der Roman und bietet eine spannende Grundlage für eine solche Diskussion.
A. Provoosts Erzählkunst ist in ihrer Bildhaftigkeit, Lebendigkeit und Anschaulichkeit überzeugend und mitreißend. Nicht immer gelingt es in solchen historischen, mythologischen Romanen die Figuren derart glaubhaft und authentisch wirken zu lassen, wie dies bei Re Jana, ihrem Vater, auch der gelähmten Mutter und der Familie Noahs der Fall ist.
Gelungen finde ich auch die Darstellung dieser Baustelle in der Wüste, der Arbeiten in und an dem Schiff, des Alltagslebens der Arbeiter dort - man fühlt sich als Leser/in mittendrin, sieht mit Re Jana die Gerüstbauer, die Pecharbeiter und die Frauen beim Wasserholen und Kochen, erlebt den dramatischen Einsturz eines Gerüstes, das hunderte Arbeiter unter sich begräbt und die schrecklichen Szenen mit den panischen Menschen beim Verschießen der Arche.
A. Provoost sieht in ihrem Roman eine Kritik an der Menschheit, nicht an bestimmten Gruppen. Es sei ein “Kommentar zu einer bestimmten religiösen Haltung” (FAZ v. 1.10.2003) schreibt sie in ihrem Kommentar zu einer Rezension v. G. Mattenklott in der FAZ v. 2.8.2003, die dem Buch Antisemitismus vorgeworfen hatte. Diesen Vorwurf der Literaturwissenschaftlerin, der sich im wesentlichen auf die Sichtweise Re Janas und ihres Vaters auf die Rrattika (als unbarmherziges, zurückgebliebenes Nomadenvolk) und die demgegenüber allzu positive Darstellung des Volkes von Re Jana als großherzig, moralisch und technisch überlegen, kann ich ebenso wie die Autorin nicht nachvollziehen. Denn als “Gedankenexperiment”, wie die Autorin ihren Roman bezeichnet, soll das Buch ja gerade zeigen, wohin es führt, wenn Völker sich als überlegen und auserwählt gegenüber einem anderen wahrnehmen.
Abschließend möchte ich noch mit einem anderen Rezensenten des Romans (R. Osteroth; ZEIT v. 18.6.2003) betonen, wie großartig ich das “Eindringen des Wassers in den Roman” finde.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von ASR.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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