Die Insel. Eine tägliche Geschichte

Autor*in
Greder, Armin
ISBN
978-3-7373-5378-6
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Greder, Armin
Seitenanzahl
40
Verlag
MeyersDuden
Gattung
BilderbuchSachliteratur
Ort
Frankfurt/Main
Jahr
2015
Lesealter
6-7 Jahre8-9 Jahre10-11 Jahre12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
16,99 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Eine tägliche Geschichte über den Umgang mit dem Fremden und den Mauern in den Köpfen. Mit einem Nachwort von Heribert Prandl.

Beurteilungstext

»Eines Tages strandet ein Mann mit seinem Floß auf einer Insel.« Dieser Satz könnte eine klassische Robinsonade einleiten; dem ist aber nicht so, denn in dieser Bilderzählung ist die Insel bereits bewohnt. Die Reaktion der Einwohner auf den Fremden, der diesen schon äußerlich – schmal, klein und völlig unbekleidet – ganz fremd daherkommt, ist von Beginn an feindselig. Sie fragen sich, was er hier wolle, warum er hergekommen sei und würden ihn am liebsten sofort samt seinem Floß dem Meer übergeben. Wäre da nicht der Fischer, der darauf drängt, den Mann unterzubringen und zu versorgen. Nach und nach wird die Lage jedoch bedrohlich. Und zwar zunächst aus der subjektiven Sicht der Inselbewohner, die in dem Fremden alles erdenklich Schlechte für ihre Gemeinschaft erblicken – seine vermeintliche Nutzlosigkeit, seine gleichzeitig teure Versorgung und überhaupt: sein ganzes Anderssein. Aus der Angst, die sich aus diesem Anderssein speist und durch die in der Gemeinschaft kursierenden Gerüchte und Unterstellungen lebendig gehalten wird, erwächst dann eine objektive, ganz konkrete Bedrohung. Und zwar für den gestrandeten Fremden selbst, der schließlich von den emotional aufgepeitschten Insulanern zurück ins Meer getrieben wird. Sie bauen eine hohe Mauer mit Wachtürmen, um eine Wiederholung des Geschehens zu vermeiden. Und sie verbrennen zur Strafe das Boot des Fischers, der ihnen zur Aufnahme des Mannes geraten hatte.
Es drängt sich zweifelsohne auf, in dieser Geschichte eine Allegorie auf die derzeitige(n) Flüchtlingsthematik und -politik(en) zu lesen, allerdings ist das Buch in seiner Erstauflage bereits im Jahr 2002 erschienen. Es ist verblüffend, dass das, was in den Jahren 2015/16 als eine besondere Herausforderung für Politik und Gesellschaft erscheint und diskutiert wird – die Aufnahme und der Umgang mit den geflüchteten Fremden aus aller Welt –, sich auf ein universelles Grundmuster zurückzuführen lässt. Und um das verständlich – und ästhetisch – auszudrücken, benötigt es nur wenige Worte und einige Bilder. So führt es uns der Bilderbuchautor Armin Greder auf meisterhafte Weise vor.
Das universelle Grundmuster, von dem die Rede war, wird hier als Angst vor dem Fremden identifiziert. Dass diese Angst immer auch eine Angst vor dem eigenen Fremden ist, also von dem Bereich in mir, den ich nicht zu erkunden gewillt oder befähigt bin, ist eine seit langem bekannte, von der Psychoanalyse herkommende Erkenntnis. Ihr zufolge lassen sich xenophobe und rassistische Einstellungen und Verhaltensmuster dadurch erklären, dass Menschen – die ihre Identität immer in Abgrenzung zu anderen Menschen definieren – dazu neigen, eigene Mängel und Unzulänglichkeiten ursächlich auf ganz Andere (Fremde) zu projizieren. In DIE INSEL funktioniert dies in etwa so: »Wir können doch nicht jeden durchfüttern, der zu uns kommt!« rufen die aufgebrachten Inselbewohner. (Bei völliger Ausblendung des Umstands, dass ihm niemand eine Arbeit geben möchte, mit der er sich selbst versorgen könnte.) Oder so: »Der Fremde ist schuld, dass sich unsere Kinder fürchten!« (Dabei sind es die Erwachsenen selbst, die den Kindern ihre eigenen, irrationalen Ängste förmlich einimpfen.) Dass derartige wildwuchernden kollektiven Ängste, wenn sie nicht wieder eingefangen werden, unweigerlich gewaltsam eskalieren müssen, zeigt uns das tragische Ende der Geschichte auf.
Wäre DIE INSEL aber nur in inhaltlicher Hinsicht pädagogisch, nicht aber auch ästhetisch wertvoll, würde sich die Wirkung des Buches wohl schnell erschöpfen. Aber zum Glück ist Armin Greders Bilderbuch ein wahres Kunstwerk. Mit seinen überaus gelungenen Kreide- und Kohlezeichnungen bannt er den psychosozialen Grundkonflikt, der sich hier in der konkreten Figurenkonstellation ja ›nur‹ materialisiert, zeitlos ins Bild. Dies gelingt ihm u.a. daher, weil er die Figur des ›Fremden‹ universalisiert, d.h. ihn nicht als konkreten Menschen darstellt, sondern als Mensch schlechthin, der dazu in seiner Nacktheit und Schmächtigkeit den anderen völlig ausgeliefert zu sein scheint. Grandios auch eine mehrmals wiederholte Doppelseite, die nichts anderes zeigt als einen nächtlichen Blick auf das vom Sturm aufgepeitschte, gischtschäumende Meer, das am Horizont an einen tiefschwarzen Himmel anstößt. Es ist der konkrete, lebensfeindliche Raum, aus dem der Fremde kam und in den er zurückgeschickt wurde. Dahinter verbirgt sich aber vielleicht eine noch viel grundlegendere Metapher: der Horizont markiert diejenige Grenze unseres Denkens, die uns fundamental vom Fremden trennt. Nur wer sich aufs offene, raue Meer hinaus wagt, kann diesen Horizont/die Grenze verschieben und aus der Dunkelheit heraustreten, d.h. eine Verständigung ermöglichen. Ansonsten bleibt nur die Angst.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von mz; Landesstelle: Sachsen-Anhalt.
Veröffentlicht am 11.07.2016

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