Der Schuss

Autor*in
Linker, Christian
ISBN
978-3-423-71870-7
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
320
Verlag
dtv
Gattung
Erzählung/RomanTaschenbuch
Ort
München
Jahr
2020
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
8,95 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Mitten in der Nacht geschieht ein Mord, den die rechtsgerichtete „Deutsche Alternative Partei“ nutzt, um noch mehr Fremdenhass zu schüren. Ermittlungen werden eingeleitet. Der einzige Zeuge ist Robin. Er lebt gefährlich, denn er kennt die Wahrheit. Wird er trotzdem den Mut haben, die Lügen dieser Partei aufzudecken?

Beurteilungstext

Der siebzehnjährige Robin Fuchs wohnt mit seiner Schwester Melanie und seiner allein erziehenden Mutter im Breslauer Block. Hier leben neben ihnen auch Menschen anderer Nationen sowie anderer Kulturen. Kriminalität, Gewalt und Terror durch Gangs bestimmen den Alltag in dieser Gegend. In der dort herrschenden Perspektivlosigkeit wächst Robin auf – eine Perspektivlosigkeit, der nur wenige Bewohner*innen entkommen können. Die Familienverhältnisse unseres Hauptprotagonisten sind als schwierig zu bezeichnen. Beide Elternteile sind Alkoholiker*innen. Dieser Sucht ist Robins Vater bereits erlegen. Seine Mutter besucht zur Zeit eine Kur, um eine Entgiftung vorzunehmen. Die Geschwister sind also stets auf sich allein gestellt. Melanie schmeißt den Haushalt und geht regelmäßig zur Schule. Ihr Bruder hat diese abgebrochen und lebt in den Tag hinein. Nebenbei bastelt er an seiner Skulptur und hört dabei laut Musik. Noch vor kurzem hat er für den gefürchteten Drogendealer Hakan Topal gearbeitet, was ihm eine Bewährungsstrafe eingebracht hat. Er ist ein Einzelgänger und hat früh gelernt, sich aus den Geschehnissen in seinem Wohnort rauszuhalten. Auch eine lebensgefährliche Auseinandersetzung mit Topal hat ihn geprägt. Einziger sozialer Bezugspunkt ist seine Schwester Melanie. Obwohl der Zusammenhalt der Fuchs-Kinder eng ist, hängt der Verlust des Vaters unausgesprochen über der Familie. Man redet einfach nicht darüber. Eigentlich ist Robin ein intelligenter, kreativer Teenager. Doch in seiner Umgebung gibt es keinen Raum für Sensibilität. Er ist ein Zyniker, um überleben zu können. Daran kann auch sein Bewährungshelfer, Herr Weingart, nichts ändern.
Eines Nachts beobachtet er, wie Neonazis einen Mann aus ihren eigenen Reihen töten. Dabei wird der Journalist Magnus Mahlmann schwer verletzt. Noch während Robin ihm erste Hilfe leistet, bekommt er von diesem einen Datenträger brisanten Inhalts zugesteckt. Eben dieser Inhalt dokumentiert eine gesetzeswidrige Handlung, in die ein Mann namens Fred Kuschinski verwickelt ist. Früher in der rechten Szene beheimatet, ist er heute ein aufstrebender Politiker, der sich für die „Deutsche Alternative Partei“ engagiert. Der einstige Freund aus Robins Kindertagen trifft den Nerv seiner potentiellen Wähler*innen. Sie stammen wie er aus dem Breslauer Block. Solche Faktoren machen die Entscheidung unseres Protagonisten nicht einfacher. Doch ehe sich dieser versieht, steht er auch schon zwischen den Fronten. Dabei macht er die Erfahrung, dass Hass nicht nur ganze Bevölkerungsgruppen spaltet und alte Freundschaften auslöscht, sondern auch einen tiefen Graben durch seine Familie zu ziehen vermag.
In den Kapiteln des Romans wird über jeder Kernfigur eine Geschichte erzählt. Die Leser*in bekommt somit einen Einblick in die Gefühls- sowie die Gedankenwelten der Charaktere. Das erhöht den Spannungsbogen und macht die Handlung des Romans fesselnd und interessant. Robin hingegen lässt der Autor in der Ich-Form berichten. Der Sprach- und Schreibstil ist klar und direkt. Das Buch liest sich deshalb flüssig und ist somit für Jugendliche verständlich. Die Handlungen sind greifbar. So spürt man förmlich die Ängste des Helden und kann sein Verhalten nachvollziehen. Die Hoffnungslosigkeit und die Frustration der Breslauer Block-Bewohner*innen haben mich während des Lesens förmlich umhüllt.
Christian Linker hat unsere heutigen gesellschaftlichen Probleme auf den Punkt gebracht. Er beleuchtet kritisch beide Seiten des Geschehens: zum einen das Verhalten der Bürger*innen des Landes, zum anderen das Handeln der gesetzgebenden und ausführenden Organe des Staates. Klar sollte jegliches Handeln in einem rechtlichen Rahmen bleiben, aber wie kann es sein, dass Zivilcourage, obwohl sie so wichtig ist, indirekt bestraft wird? Wie kommt es, dass die Mutigen nicht ausreichend geschützt werden? Das sind Fragen, die ich mir bei dieser Lektüre gestellt habe. Es wird zugelassen, dass Drohungen und Erpressungen funktionieren; insbesondere dann, wenn man wie Robin in einem Brennpunktviertel lebt, das von dem Radar der Regierung verschwunden zu sein scheint. Ist es da verwunderlich, dass viele den Glauben an die Politik und ihre Versprechen verlieren und sich lieber alternativ-rechten Parteien zuwenden? Viele Personen in diesem Roman scheinen eingemauert und festgefahren in ihren Meinungen – ein Bild, das sich häufig auch im wahren Leben wiederfindet.
Christian Linker hat nicht nur ein mutiges Werk erschaffen, sondern ihm ist es auch gelungen, unsere Gesellschaft treffend zu spiegeln. Der Breslauer Block steht für viele Brennpunkte Deutschlands. Es ist ein aufschreckendes Buch, eine Stärkung der Zivilcourage und eine Kritik an uns, die wir Teil der Gesellschaft sind. Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Umgang mit der Charaktereigenschaft, auch auf einem einsamen Posten mutig zu sein und Farbe zu bekennen. Positiv ist, dass Christian Linker eine ganzheitliche Sicht auf die dargestellte Situation bietet. Er verurteilt keine seiner Figuren für ihr Handeln und er hebt auch nicht den moralischen Zeigefinger. Im Gegenteil: Er regt alle Leser*innen an, sich selbst eine Meinung zu bilden. Aber er macht dabei auch auf die Gefahr rechten Gedankenguts sowie rechter Gewalt aufmerksam und was ganz wichtig ist: Er regt dazu an, Fragen zu stellen und Begebenheiten zu hinterfragen.
Das Ende des Romans entspricht so gar nicht den gängigen Erwartungen nach dem Motto: „Ende gut alles gut“, sondern eröffnet viele Wege. Welche es sind, müssen die Leser*innen ab vierzehn selbst herausfinden. Die Lektüre biete auf jeden Fall Stoff für Diskussionen. Ein wichtiger Jugendroman, der eine passende Lektüre für den Schulunterricht sein kann.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Heli; Landesstelle: Mecklenburg-Vorpommern.
Veröffentlicht am 27.11.2020

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