Der Junge mit dem Herz aus Holz

Autor*in
Boyne, John
ISBN
978-3-596-81094-9
Übersetzer*in
Zöfel, Adelheit
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
234
Verlag
Gattung
Fantastik
Ort
Frankfurt
Jahr
2014
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
7,99 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Haben Sie sich schon einmal gefragt, was aus Pinocchio geworden ist, nachdem er ein Junge aus Fleisch und Blut geworden ist? Ist er glücklich? John Boyne greift den alten Pinocchio-Stoff auf, erzählt ihn aber nicht neu, sondern weiter, und verwandelt ihn in eine kluge Parabel über den Wert, das eigene Leben anzunehmen.

Beurteilungstext

Dass John Boyne Parabeln schreiben kann, das hat er bereits 2006 bewiesen. Das Buch ""Der Junge im gestreiften Pyjama"" ist von der weltweiten Kritik hoch gelobt und 2008 kongenial verfilmt worden und sein Roman ""Die unglaublichen Abenteuer des Barnaby Brocket"" ist in diesem Jahr (2014) von der Jugendjury des Deutschen Jugendliteraturpreises nominiert. Mit ""Der Junge mit dem Herz aus Holz"" liegt nun ein Märchen vor.

Was passiert - ganz oberflächlich
Noah B. läuft eines Morgens von zu Hause weg. Abenteuer zu erleben, ist sein Ziel, denn der achtjährige Noah hat das Gefühl, in seinem Leben noch nichts Außergewöhnliches erreicht zu haben. Auf der Suche nach Abenteuern begegnet er unterschiedlichen märchenhaft phantastischen Gestalten. Allen voran einem Spielzeugmacher, der Marionetten schnitzt. Ungewöhnlich im Hause des Spielzeugmachers ist nicht nur, dass die Tür sich jeweils dort in die Wand einsetzt, wo sie gerade benötigt wird. Oder dass die Fußbodenbretter in der Küche immer dorthin springen, wo man gerade seinen Fuß hinsetzen will. Ein Eigenleben scheint auch das Schnitzholz zu führen, welches selber entscheidet, was am Ende herauskommt. In der Küche des Spielzeugmachers sitzend, erzählt dieser Noah anhand von Marionetten Geschichten aus seinem Leben. Er berichtet von seinen Abenteuern, Erfolgen, aber auch von seinen gebrochenen Versprechen.
Das Erzählen und das Hören führt beide zu einer Auseinandersetzung mit sich selbst, die schließlich in der bewussten bzw. vorbewussten Erkenntnis mündet, das eigene Leben annehmen zu müssen.

Sei, der du bist - die ins Bild gesetzte Bedeutung

""Du darfst niemals den Wunsch haben, etwas anderes zu sein als das, was du bist"", sagte der alte Mann leise. ""Vergiss das nie. Du sollst nicht mehr haben wollen als das, was dir gegeben wurde. Es könnte der größte Fehler deines Lebens sein."" Noah verstand nicht ganz, was diese Worte bedeuteten, aber er speicherte sie in seinem Kopf, gleich über dem rechten Ohr. Er war fest davon überzeugt, dass ein Teil von ihm diese Worte eines Tages wieder hervorholen würde, um über sie nachzudenken, und da wollte er sie gleich griffbereit haben.""

Was als märchenhafte Kindergeschichte beginnt, entwickelt sich langsam zu einer weisen Parabel. Der Leser wird immer wieder behutsam dazu angeleitet, in Frage zu stellen, ob es wirklich Abenteuerlust ist, die Noah treibt, bzw. ob das Schnitzholz ein Eigenleben führt oder ob sich dahinter etwas verbirgt, das der Spielzeugmacher sich selbst noch nicht eingestehen mag?

Und damit sind wir im Kern der Geschichte angekommen. Hinter diesen beiden (In-) Fragestellungen verbergen sich nämlich zwei Erzählstränge, die in komplexen Rückblenden nach und nach die Vorgeschichten zu Noah und dem Spielzeugmacher entwickeln. Während sich des Lesers schlimmste Befürchtung bewahrheitet, dass Noah insbesondere seiner Furcht über den nahen Tod seiner Mutter davonläuft, gleicht die Suche nach der Vorgeschichte des Spielzeugmachers einem literarischen Fährtenlesen. Der Leser muss die Spuren im Text zuallererst überhaupt wahrnehmen (z.B.: der Spielzeugmacher hat keine Mutter (S. 88), der Spielzeugmacher versprach als Junge, ein braver Junge zu sein und in die Schule zu gehen, konnte den Versuchungen aber nicht widerstehen (S. 88), die Geschichte vom Fuchs, den Goldmünzen und dem Wunderfeld (S. 211) u.a.m.) und richtig einordnen. Denn erst wenn die Verknüpfung mit der Pinocchio-Geschichte vollzogen wird, ist der Schlussstein gefunden, der den Bogen der Geschichten des Spielzeugmachers schließt. Der Spielzeugmacher hadert mit seiner Entscheidung, ein Mensch geworden zu sein. Er hat sich im Leben immer für Abenteuer, die weite Welt und das Jemand-Anderssein entschieden und will vermeiden, dass der Junge eine falsche und nicht mehr rückgängig zu machende Entscheidung trifft - nämlich die letzte Zeit mit der Mutter zu verbringen. Und in diesem Punkt werden die Erzählstränge parallelisiert. Während Noah aus den Erzählungen des Spielzeugmachers seine eigene Situation zu überdenken beginnt, tritt der alte Mann in eine (längst überfällige) Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit ein. Während Noah sein Leben noch vor sich hat, kann der Spielzeugmacher nur noch sein Leben akzeptieren, um Frieden schließen zu können.

""Sei, der du bist, versuche nicht vor dir und deinem Leben wegzulaufen und erkenne, wer deine Nächsten sind"", scheint die Geschichte einem zuzurufen. Keine leichte Anleitung für das eigene Leben!

In dieser Pinocchio-Fortsetzung ist Pinocchio nicht glücklich - lieber wäre er geblieben, was er war: eine Marionette! Aber es gibt kein Zurück. Und auch der Versuch des Spielzeugmachers, eine Pinocchio-Marionette zu schnitzen, muss gezwungenermaßen scheitern. Bis zum Schluss...

Für wen geeignet?

Diese Geschichte ist ohne Frage eine echte Leseherausforderung für Kinder ab 12 Jahren und genauso auch für alle Erwachsenen. Jeder Leser - unabhängig davon, mit welchem Leseinteresse er dieses Buch in die Hand nimmt - kann nur gewinnen: Man kann es als märchenhaft phantastische Erzählung lesen, man kann es als Pinocchio-Fortsetzung lesen oder, wie hier vorgestellt, als Geschichte mit parabolischem Verstehenspotential.
Unabhängig davon, dass die Rückblenden in klar (auch farblich markierten) Binnengeschichten oder einzelnen Kapiteln abgesetzt sind, kann für weniger geübte Leser der Eindruck von einzelnen Steinen entstehen. Denn die Leistung, die zur Konstruktion des Erzählbogens vom Leser abverlangt wird, ist hoch. Zu hoch? Nein, nicht zu hoch, aber doch nicht unerheblich. Und am Ende kann man sich nicht ganz gegen die Überlegung wehren, ob der Aufwand für die Botschaft - und diese ist augenfällig - nicht doch unverhältnismäßig ist.
Aber alle Zweifel beiseite: Wenn man die Hürde der ersten drei Kapitel genommen hat - diese wirken, als ob sich John Boyne noch die Finger für den phantastischen Stoff warmschreiben musste - entwickelt sich eine dichte Erzählung, die ein Beispiel dafür ist, wie moderne Kinder- und Jugendliteratur dazu angetan ist, zur Reflexion der eigenen Person (anthropologische Dimension der Literatur) anzuregen und gleichzeitig in das kinder- und jugendliterarische Symbolsystem einzuführen.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von jhe.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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