Berlin, Bülowstr.80a

Autor*in
Beyerlein, Gabriele
ISBN
978-3-522-17823-5
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
492
Verlag
Thienemann
Gattung
Ort
Stuttgart/Wien
Jahr
2007
Lesealter
14-15 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
19,90 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Berlin um 1890: Nur durch die Heirat mit einem bürgerlichen Arzt weiß Sophie dem rigiden Drill der Mutter, einer geborenen Baronin, die nach dem Tod des Mannes völlig verarmte, zu entkommen. Ihre anerzogenen Künste einer Dame der Gesellschaft helfen dem Mann, gut zahlende Patienten zu bekommen und der Familie einen guten Lebensstandard zu verschaffen, bis auch Friedrich plötzlich stirbt. Jetzt muss Sophie Entscheidungen für den Lebensweg und die Versorgung ihrer Kinder treffen.

Beurteilungstext

Gabriele Beyerlein legt hier den zweiten umfangreichen Roman über Frauen im kaiserlichen Berlin vor. War es im ersten Band “In Berlin vielleicht” die Geschichte des Dienstmädchens Lene, wechselt Beyerlein im vorliegenden Band das Milieu. Es gelingt ihr aber mit ähnlicher Intensität und Anschaulichkeit Geschichte aufzuarbeiten anhand der drei Frauengenerationen in diesem Buch.
Sophie von Zietowitz wächst im Bewußtsein heran, dass der geliebte Vater gestorben ist, aber keiner über diesen Tod spricht. Insgeheim gibt sie sogar der Mutter die Schuld daran, bis sie endlich der Wahrheit auf die Spur kommt, die alles andere als schmeichelhaft für den Vater ist. Die ärmlichen Verhältnisse, in denen Mutter und Tochter leben müssen, die heimlichen Näh- und Stickarbeiten, die sie verkaufen müssen, um dem Bruder die Erziehung in einer Kadettenanstalt und damit den Weg in eine Offizierslaufbahn zu ermöglichen, stehen in krassem Gegensatz zu den Wertvorstellungen und Erziehungsprinzipien der Mutter. Daher zwingt sie die Tochter durch ständigen Drill, ewige Ermahnungen und äußerste Strenge in ein Korsett, dass ihr durch eine Heirat die Rückkehr in ein “standesgemäßes” Leben ermöglichen soll.
Während einer schweren Erkrankung der Mutter entdeckt Sophie in dem bürgerlichen Arzt der Mutter, der gut doppelt so alt ist wie sie, einen liebenswürdigen Menschen. Als Friedroch formvollendet bei ihrem Onkel um ihre Hand anhält, setzen Sophie und der Onkel die Zustimmung gegen die Mutter durch. Sophie fühlt sich aufgehoben und befreit, sie kann aber auch durch ihre Fähigkeiten und Kenntnisse, Friedrich Zugang zu adligen Patienten verschaffen, die ihm - un d damit seiner Familie - ein gutes Einkommen sichern, ohne dass er jemals seine soziale Verantwortung auch gegenüber armen Patienten verweigern würde.
In dieser Ehe kommen drei Kinder zu Welt, die kaum unterschiedlicher sein können und die die Zuwendung und Aufmerksamkeit der Eltern stark auf die Probe stellen. Die Älteste, Lotte, ist wiss- und lernbegierig und verschafft sich sogar hinter dem Rücken der Eltern Wissen, das ihr nach damaliger Auffassung nicht zusteht, während ihr Bruder Wilhelm nur mit ihrer Hilfe das Lateinpauken am Gymnasium schafft. Der Jüngsten, Friedrich, hat einen Herzfehler und ihm gilt daher die besondere Zuwendung und Sorge des Vaters.
In dieser Konstallation erfahren die LeserInnen immer wieder aus Sophies Perspektive, wie hart die Erziehung zu einer Dame der Gesellschaft, aber auch wie mühsam und durchaus nicht leicht die Organisation eines großen Haushaltes zu dieser Zeit war, selbst wenn man nach dem Umzug in die Beletage wieder Köchin und Zimmermädchen und Zugehfrau hatte, die doch alle Arbeit zu leisten scheinen, während Mama täglich zu ihren Teegesellschaften geht.
Dramatisiert wird die Geschichte noch durch eine kurzfristige Liebesbeziehung Sophies zu einem jungen Arzt, einem Juden, aus der sie sich schuldbewußt und unter Besinnung auf ihre Kinder jedoch schnell wieder löst.
Erst nach dem plötzlichen Tod Friedrichs ist Sophie gefordert, im Umgang mit ihren Kindern wie mit ihrer Mutter, ihren eigenen Vorstellungen und Übetrzeugungen zu folgen. Damit macht sie für Lotte den Weg frei in ein Medizinstudium, was einen Bruch mit der Familientraditon bedeutet, aber auch das bewußte Akzeptieren eines neuen Rollenverständnisses.
Die Geschichte enthält viele Informationen über das Leben und die Gesellschaft im kaiserlichen Berlin um die Jahrhundertwende. Lebendig wird die Atmosphäre durch die Personen, deren Schicksal und Gedanken man lesend gern folgt, selbst wenn hin und wieder die inneren Monologe Sophies länger sind als der Ablauf der erzählten Situation es zulässt. Aber immer wieder wird man gefesselt durch die Situationen und Stationen dieses Lebens, die in einer dialogreichen und spannungsreichen Sprache erzählt werden., z.B. der Familienstreit um den Spinat, den Lotte nicht gegessen, sondern in Mutters Nähkorb “entsorgt” hat. Da zittert man als LeserIn mit dem Kind, aber auch mit der von Migräne geplagten Sophie.
Eine mitreißende, amüsante, aber auch informative Lektüre, nicht nur, aber besonders für Leserinnen, die sich dafür interessieren, wie ihre Möglichkeiten und Rechte, gleichberechtigt zu leben, sich entwickelt haben

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Diese Rezension wurde verfasst von uwo.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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