Yugoslavian Gigolo

Autor*in
Drvenkar, Zoran
ISBN
978-3-608-93733-6
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
278
Verlag
Klett
Gattung
Erzählung/Roman
Ort
Stuttgart
Jahr
2005
Lesealter
ab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
18,50 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Branko ist auf der Flucht: Vor der Polizei, die ihn als Deserteur festnehmen will, vor seiner Vergangenheit – und vor allem vor sich selbst. Getrieben in den Wirren des jugoslawischen Bürgerkrieges versucht er das Beste aus seiner Situation zu machen. Sein Ziel: Deutschland.

Beurteilungstext

Als Branko Ivanka trifft, ahnt man bereits, dass dies keine glückliche Liebesgeschichte sein wird. Er liest sie bei Regen am Wegesrand mit seinem Wagen auf und fährt sie nach Hause. Er weiß zunächst nichts mit dieser „Geistererscheinung“ anzufangen, er spürt nur, dass sie traurig ist und er diese Traurigkeit nicht mit ihr teilen will. Sie bietet sich ihm für Geld an, die großen, tragischen Augen sind zu stark geschminkt. Branko lehnt nicht ab, auch wenn er selbst kein Geld hat. Sie „bezahlt“ für die Mitfahrgelegenheit.
Diese kurze Szene, die relativ am Anfang des neuen Romans von Zoran Drvenkar steht, sagt viel über den Ich-Erzähler Branko und seine Geschichte aus. Nachdem er nach einem Heimaturlaub nicht zur Kaserne zurückgekehrt ist und sich seitdem auf der Flucht vor dem Militär befindet, hält sich Branko in Krizevci versteckt und arbeitet bei einem Metzger. Seine Welt besteht aus einem unentwirrbaren Geflecht von Übermüdung, Alkohol, oberflächlichen Freundschaften, sinnleeren Partys und der Gier nach einem besseren Leben, fernab von einem Land, das durch den Bürgerkrieg zunehmend an Substanz verliert. Als Branko auf Ivanka trifft, ahnt er noch nicht, wie sehr er ihr schon bald gleichen wird: Um an Geld für seine ersehnte Flucht nach Deutschland zu kommen, geht Branko mit reichen Touristinnen ins Bett – er bietet den einsamen Frauen seine Gesellschaft an, bleibt aber dabei völlig kalt und distanziert. Er lässt sie erzählen, weil er zu wissen glaubt, dass sie das brauchen: jemand, der ihnen zuhört. Geschickt betont der Autor diese einseitige Kommunikation durch einen fast sieben Seiten langen Monolog einer der Frauen, die Branko besucht. Die Verzweiflung, die aus den Worten spricht, und die Einsamkeit sind ebenso auch Brankos ständige Begleiter, nur er lässt sie nie an die Oberfläche treten. Er ist völlig „cool“, seine Gefühlskälte wird nur in wenigen Momenten unterbrochen, etwa dann, als er Ivanka erhängt in ihrer Wohnung findet.
Kann man zu Beginn seine Motive noch nachvollziehen und somit ihm eine gewissen Sympathie entgegenbringen, so verflüchtigt sich diese etwa nach der Hälfte des Buches. Branko wird, je tiefer er selbst in die Ausweglosigkeit seines Lebens gerät, je näher ihm seine Verfolger kommen, zunehmend brutaler und gewalttätiger gegenüber den Frauen, die ihn für seine Dienste bezahlen, und seiner Umwelt. Wie ein Ventil, das dem Druck nicht mehr standhalten kann, explodiert die Gewalt am Schluss und die düsteren Vorahnungen, die im ersten Kapitel die Verwünschungen von Brankos Schwester auslösten, werden wahr.
Zoran Drvenkar versteht es wie kein anderer, die Abgründe der menschlichen Seele auszuloten und sie gnadenlos mit seiner ihm eigenen schlichten und doch so wirkungsvollen Sprache abzubilden. Sein Branko bleibt undurchdringlich und gefühllos bis zuletzt. Der Leser wird gezwungen, dessen Taten durch Brankos Augen mitzuerleben. Die Wahl der Ich-Perspektive birgt die Chance, tiefere Einblicke in Brankos Motive zu erlangen, hat aber vorrangig eine Wirkung: Die Distanz und Kälte Brankos werden noch potenziert. Die üblicherweise automatische Vertrautheit mit dem Ich-Erzähler bleibt aus, wird aufgrund des Normbewusstseins des Lesers sogar bewusst abgelehnt.
Ein schaler Nachgeschmack bleibt leider aufgrund der detaillierten und teilweise effekthaschenden Beschreibungen der Gewalt- und Sexszenen, so dass der Roman auf keinen Fall für Kinder und Jugendliche geeignet ist. Die Darstellung einer Gesellschaft und eines Landes, in dem die Menschen trotz Freundschaft und Geselligkeit einsam und einander fremd bleiben, ist das Besondere an diesem Buch. Nicht die Gewalt, nicht das unausweichliche Schicksal Brankos, sondern die leisen Zwischentöne, die aus der Geburtsstadt des Autors erklingen. Der Bürgerkrieg dient zwar nur als Kulisse für die Geschichte, dennoch spiegelt sich das langsame Verfallen eines Landes deutlich am Beispiel eines Einzelnen wider. Auch für Branko kommt – wie bei Ivanka – jede Hilfe zu spät. Er hätte sie sowieso nicht angenommen.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von RD.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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