Reden ist Verrat - Nach der wahren Geschichte der Freddie Oversteegen

Autor*in
Geldof, Wilma
ISBN
978-3-8369-6045-8
Übersetzer*in
Kiefer, Verena
Ori. Sprache
Holländisch/Niederlä
Illustrator*in
Seitenanzahl
343
Verlag
Gerstenberg
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
Hildesheim
Jahr
2020
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
18,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

„Hören, handeln schweigen“ oder „Reden ist Verrat“ das schärft Frans, der Leiter der Haarlemer Widerstandsgruppe Freddie und ihrer Schwester Truus immer wieder ein. Die Mädchen haben sich für den sehr gefährlichen und Attentate einschließenden Widerstand gegen die deutschen Besatzer, die „Moffen“ entschlossen. Unzählige Male gerät Freddie in Situationen, die sie zweifeln lässt, ob sie wirklich das Richtige tut.

Beurteilungstext

Wilma Geldof widmet ihren Roman der kommunistischen niederländischen Widerstandskämpferin Freddie Oversteegen (1925-2018). Geldof ist es gelungen, mit Freddie ins Gespräch zu kommen, die im Unterschied zu ihrer Schwester Truus, bis ins hohe Alter kaum in der Öffentlichkeit über die Jahre im Widerstand (von 1941-1945) sprach. Eine weitere Quelle sind aber auch die in den Niederlanden veröffentlichten Erinnerungen von Truus. Eng an den geschichtlichen Tatsachen orientiert ist ihr ein aufwühlendes, nachdenklich machendes und glaubwürdiges Portrait einer jungen Frau gelungen, die sich mutig, ein wenig vorwitzig, gelegentlich übermütig und zunächst mit kindlicher Unbekümmertheit wie selbstverständlich für einen immer schwerer werdenden Weg im Kampf gegen den Faschismus entschieden hat. Die Mutter ist Kommunistin, im Viertel als die „Rote Truus“ bekannt, ebenfalls im Widerstand, und gibt ihren Töchtern eine Grundhaltung mit auf den Weg, die sie nicht vergessen: „Bleibt immer menschlich. Niemals so werden wie der Feind. Immer noch selbst nachdenken.“ (S.30)
Der Feind, das sind die deutschen Besatzer, die Sicherheitspolizei, die niederländischen Nazis vom NSB, die die jüdische Bevölkerung und politischen Gegner drangsalieren, verhaften, foltern und deportieren. Frans (van der Wiel) leitet die Gruppe, in die Freddie und Truus als Mädchen (bei Kriegsbeginn sind sie gerade mal 14 bzw. 16) eingeführt werden: Der alte Willemsen, der ernste Theo, Abe der jüngste, Siep der Straßenbauer, Jan mit den blonden Locken und der schweigsame Roemer und fuchsgesichtige Wieger Sie könnten vieles tun, was bei Männern verdächtig aussähe, sagt Frans, zumal gerade Freddie noch wie ein Kind wirkt – klein, mager, wie ein „Brett mit zwei Erbsen“ – so sieht sie sich im Spiegel.. In den ersten Monaten stehlen sie Ausweise, verrichten Kurierdienste oder bringen jüdische Kinder in Sicherheit. Dann lernen sie mit Waffen umzugehen und tragen diese versteckt immer bei sich. Das bedeutet Lebensgefahr – sollten sie damit kontrolliert oder entdeckt werden.
Ab September 1942 beginnt dann „die richtige Arbeit“ (S. 51), wie es in der Ich-Perspektive von Freddie genannt wird. Truus und sie sollen einen Moffen ausspionieren, ihn in einen Hinterhalt locken, wo er dann von den anderen liquidiert wird. Für Freddie ist das zunächst alles noch wie ein Abenteuer. Aber als dann „unser Mof“ nicht mit Truus, sondern mit ihr anbandeln will, ist sie fassungslos und tut, was Truus hätte tun sollen: Ihm vorspielen, dass sie was mit ihm anfangen will und ihn in den Wald locken. Es klappt, auch wenn es sie maßlos ekelt und sie sich hinterher übergeben muss. Und diese Aktion macht was mit ihr: Nicht nur, dass sie bei späteren Zärtlichkeiten mit ihrem geliebten Peter immer diesen Mann, sein Gesicht und seinen Körper zu nah an ihrem sieht, spürt und Peter deshalb nur zurückweisen kann, sondern sie beginnt an ihrem Handeln zu zweifeln: Irgendwie war „der Mof“ doch ein Mensch mit seinen blauen Augen- „Es ist etwas geschehen, wodurch ich kein Kind mehr bin… Es ist jemand tot.“ (S. 87/89) Immer wieder quälen Freddie Zweifel an ihrem Tun. Besonders die (fiktive) Figur ihres Geliebten Peter trägt zur Auseinandersetzung mit der Grundfrage bei: Kann ich das vertreten, was ich tue? Immer wieder wird deutlich: Es ist wichtig, warum man etwas tut und dass man Menschenleben rettet, wenn man dazu beiträgt, dass deutsche Mörder und niederländische Kollaborateure nicht mehr weiter das tun können, was sie tun. Freddies Gedanken, ihre Zweifel und die Gespräche mit Peter haben eine Schärfe und schmerzliche Deutlichkeit, die es dem Leser/der Leserin nicht erlauben, sie zu ignorieren: Auf Peters Frage, wie viele sie „erledigt, kaltgemacht, abgemurkst, liquidiert“ habe, antwortet sie: „Danach fragt man einen Soldaten nicht“. Auf diese Frage, so beschließe ich in diesem Moment, werde ich mein Leben lang keine Antwort geben.“ (S 296) Gemeinsam mit ihrer Schwester Truus und ihrer Freundin und Genossin Hannie Schaft, die kurz vor der Befreiung im April 1945 verhaftet, gefoltert, vom SD in den Dünen erschossen und vergraben wird, verüben sie weitere Attentate, Sprengungen und Brandanschläge auf deutsche Einrichtungen und Züge. Ihre Tätigkeit wird immer gefährlicher, sie müssen die Quartiere ständig wechseln und die Versorgungslage wird auch schwieriger – der Hunger und die Kälte plagen sie. Als bei einem alliierten Bombenangriff der kleine Lou ums Leben kommt, den Freddie auf dem Fahrrad in Sicherheit bringen wollte, ist sie am Boden zerstört. Zudem leidet sie unter der Trennung von der Mutter, der zeitweiligen Trennung von der Schwester und dann auch dem Tod ihrer einzigen Vertrauten in der Illegalität: Oma Bracha, einer untergetauchten Jüdin aus Belgien. Erschütternd zu lesen sind die Szenen, die diesem Tod folgen – denn sie müssen die Leiche heimlich entsorgen, es dürfen keine Spuren zurückbleiben. Freddie und ihre Genossinnen müssen nach dem Attentat auf Fake Krist (ein niederländischer Nazi) um ihr Leben bangen: Theo wurde dabei verhaftet und erschossen und dann gibt es eine Razzia in ihrem Unterschlupf, bei dem Abe und Siep verhaftet werden und die sie nicht retten können. Die Nazis nehmen blutige Rache und erschießen vor den Augen der Leute im Viertel 10 Jungen und Männer.
Der Roman endet mit den Tagen der Befreiung – alle freuen sich, aber Freddie fühlt sich eigentlich nicht nach Lachen: „Ich weiß nicht, wo ich selbst geblieben bin. Alles ist verändert durch die letzten Jahre, die letzten Monate. Oma Bracha, Lou, Abe, Theo, so viele Menschen, die nicht mehr da sind und es ist, als hätte ich auch mich selbst verloren… Wir sind frei. Wir können wieder leben. Aber ich habe keine Ahnung, wie.“ (S. 324/325) Und endlich, als sie ihre Mutter wiedersehen („Mama ist unsere Rettungsboje“ S. 390), löst sich der Knoten und sie liegen sich in den Armen und weinen als hätten sie all die Jahre nicht geweint.
Truus Menger schreibt in ihren Erinnerungen (zitiert im Nachwort)
„Vergib mir, Geliebter,
wenn ich deinen Traum vom Jetzt zerstöre,
vergib mir,
wenn ich versteinerte Tränen weine,
weil ich noch immer das Gestern höre.“
Weil die Schwestern Kommunistinnen waren, wurde ihnen auch in den Niederlanden Jahrzehnte keine Ehrung erwiesen – auf Freddie wurde sogar ein Anschlag verübt, der nie aufgeklärt wurden. Erst 2014 hat ihnen Ministerpräsident Rutte eine Ehrenmedaille für den Kampf gegen die Nazis verliehen.
Geldofs Roman setzt diesen mutigen Schwestern ein Denkmal, erinnert an starke junge Frauen, echte Heldinnen mit all ihren Zweifeln, Ängsten und Gedanken.
Dem Gerstenberg Verlag haben wir die Veröffentlichung dieses Romans zu verdanken, in dessen Zentrum offen Kommunistinnen stehen – das ist mutig in unserem Land, wo sowohl KommunistInnen wie auch der aktive Widerstand mit Waffengewalt gegen den Faschismus ein Tabu sind.
Schon 2019 hatte der Verlag ein Jugendbuch zu einem brisanten Thema veröffentlicht – Maja Nielsens sorgfältig und genau recherchierter Roman „Tatort 1919“ über die Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts.

Reden ist Verrat ist unbedingt empfehlenswert für alle, für die Faschismus und der Widerstand dagegen nichts aus einer fernen Vergangenheit ist.
Für mich ist dies eines der Jugendbücher des Jahres 2020.

Ergänzend möchte ich noch darauf hinweisen, dass es über Hannie Schaft und die Schwestern Oversteegen ein Kapitel im 2020 erschienenen von Florence Hervé herausgegebenen Sammelband „Mit Mut und List. Europäische Frauen im Widerstand gegen Faschismus und Krieg“, erschienen im Pappyrossa Verlag in Köln gibt.
Außerdem ein 1981 produzierter Film über Hannie Schaft mit dem Titel „Das Mädchen mit dem roten Haar“.

Angelika Schmitt-Rößer

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von SRAn; Landesstelle: Hessen.
Veröffentlicht am 27.02.2021

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