Einmal

Autor*in
Gleitzmann, Morris
ISBN
978-3-551-31924-1
Übersetzer*in
Gutzschhahn, Uwe-Michael
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
188
Verlag
Carlsen
Gattung
Erzählung/RomanTaschenbuch
Ort
Hamburg
Jahr
2020
Lesealter
10-11 Jahre12-13 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
5,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Polen 1942: Der jüdische Junge Felix erzählt seine Geschichte, die davon handelt, wie er einmal aus dem Waisenhaus weglief, um seine Eltern zu finden; wie er einmal das Mädchen Zelda rettete. Und wie er einmal mit ihr und anderen Kindern auf eine schreckliche und leidvolle Zugreise gehen musste. Und dann hat er wenigstens einmal Glück.

Beurteilungstext

Der Carlsen Verlag hat nun schon zum wiederholten Male Morris Gleitzmanns kraftvoll erzählte und anrührende Erzählung „Einmal“ über das Schicksal jüdischer Kinder im von den Faschisten besetzten Polen in einer Neuauflage als Sonderausgabe im Taschenbuchformat herausgebracht. Dieser Text, der versucht das Unvorstellbare vorstellbar oder begreifbar zu machen, entfaltet seine bedrückende Intensität auf mehreren Ebenen.
Da ist zum einen der Erzähler Felix, der in einem behüteten Elternhaus mit vielen Büchern (Eltern hatten eine Buchhandlung) aufgewachsen ist, der lange Zeit mit einer Naivität und Vertrauen in das Gute im Menschen auf die Ereignisse um ihn herum schaut und versucht, sich diese zu erklären. Z.B. meint er, die Nazischergen, die auf dem Hof des Klosters in der Nacht Bücher verbrennen, seien „professionelle Bibliothekare mit professionellen Armbinden“, die auf Weisung der Oberin ausrangierte Bücher verbrennen. Seine Interpretationen sind für den um den Völkermord wissenden Leser/Leserin mit zunehmender Dramatik der Situation kaum noch auszuhalten. Als er z.B. Lastwagen beladen mit halbnackten Menschen vorbeifahren sieht und vermutet, dass es Landarbeiter sind, die sich so aufs Schwimmen freuen, dass sie schon die Kleider ausgezogen haben. Oder als er viele Schüsse hört, sagt er sich, dass es wohl Jäger sind, die viele Kaninchen erlegt haben. Und das rotgefärbte Wasser des Flusses – muss eine Täuschung durch das Licht sein.
Da ist zum anderen Gleitzmanns große Kunst, immer auf sprachlicher Augenhöhe mit seinem Erzähler Felix zu sein, dessen wertvollster Besitz seine Fähigkeit ist, Geschichten zu erfinden und zu erzählen und diese in seinem Notizbuch aufzuschreiben: Zur Belustigung und zur Unterhaltung, zum Träumen, zur Ablenkung. Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem er keine Geschichten mehr hat – hier versagt die Sprache, die Literatur vor dem Grauen des Mordens: Als er in der Stadt ankommt mit der kleinen, aber auch manchmal sehr vorwitzigen, Zelda muss er mitansehen, wie faschistische Soldaten wahllos auf die zusammengetriebenen Menschen schießen und die Polen mit Steinen auf sie werfen. Zelda und er sind starr vor Angst. Und als einer der Soldaten auf Zelda anlegt, denkt er: „Ich warte, dass meiner Fantasie irgendein Grund einfällt, den ich ihm nennen kann, warum er Zelda nicht erschießen darf, doch mein Kopf glüht, alles dreht sich, ich falle hin, schreie aber keine Worte… Ich fange an zu weinen. Ich weiß nicht, was ich tun soll. – Ich habe keine Geschichten mehr.“ (S. 96/97) Im letzten Moment werden er und Zelda von Beranek, einem Mann des Widerstands gerettet und in einer leerstehenden Druckerei im Keller mit anderen Kindern versteckt, bis sie schließlich verraten werden und auf einen Transport in ein Vernichtungslager geschickt werden. Felix und Zelda springen vom Zug und sind so – vorerst – einmal frei.
Die Figur des Beranek, eines Zahnarztes, der alle Tricks des Überlebens im Untergrund beherrscht und für Lebensmittel auch Nazis behandelt, ist von Janusz Korczak inspiriert, der als Arzt und Schriftsteller ein Waisenhaus für jüdische Kinder in Polen leitete und mit ihnen in den Tod ging. Gleitzmann bezeichnet ihn im Nachwort als „seinen Helden“.
Und dann ist da die immer spürbare Wahrhaftigkeit der Erzählung – alles könnte so passiert sein und ist auch so passiert, wenn auch nicht unbedingt verdichtet in einer Figur oder Person – was Kinder und Erwachsene tatsächlich mitansehen oder erleben mussten, es ist kaum auszuhalten. Es schnürt einem buchstäblich die Kehle zu, wenn man von solch erschütternde Szenen liest, wie die von den Toten auf den Straßen des Ghettos oder wie die Kinder im Deportationszug sind und es kein Entrinnen mehr gibt – Verzweiflung, Trauer, Erschütterung und Entsetzen.
Man fragt sich, wie konnten Menschen in diesen Situationen noch ihre Menschlichkeit erhalten? Felix jedenfalls kann es: Er gibt die Seiten seines kostbaren Notizbuchs her als Toilettenpapier.
Treffend ist die Wahl des Titels (im englischen Original „Once“) „Einmal“, der zum einen eine Anspielung auf traditionelle Märchenanfänge „Es war einmal“ darstellt, aber ganz und gar kein Märchen ist. Und zum anderen mit den verschiedenen Bedeutungsebenen von „einmal“ spielt.
„Einmal“ sollte in jeder Schule und jeder Klasse zur Verfügung stehen und mit zurückhaltender und unterstützender Lesebegleitung (ohne Arbeitsblätter!) durch LehrerInnen angeboten werden.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von SRAn; Landesstelle: Hessen.
Veröffentlicht am 01.04.2021

Weitere Rezensionen zu Büchern von Gleitzmann, Morris

Gleitzmann, Morris

Einmal

Weiterlesen
Gleitzmann, Morris

Dann

Weiterlesen
Gleitzmann, Morris

Einmal

Weiterlesen
Gleitzmann, Morris

Einmal

Weiterlesen