Du musst die Wahrheit sagen

Autor*in
Wahl, Mats
ISBN
978-3-446-23669-1
Übersetzer*in
Kutsch, Angelika
Ori. Sprache
Schwedisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
240
Verlag
Hanser
Gattung
Ort
München
Jahr
2011
Lesealter
14-15 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Klassenlektüre
Preis
13,90 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Tom zieht wieder einmal um, muss in einer neuen Schule zurechtkommen und Freunde finden. Alles scheint gut zu laufen im Haus am See: Halbbruder Morgan treibt Sport, Halbschwester Annie geht shoppen, die Mutter trifft Dick, einen Liebhaber, und auch Tom findet in Nadja eine Freundin. Trotzdem prügelt Tom sich mit Morgan, lässt Tom sich mit dem zwielichtigen Nachbarn ein, und stellt Tom fest, dass Dick nicht nur seiner Mutter schöne Augen macht. Das Idyll trügt …

Beurteilungstext

Dem großen skandinavischen, 1996 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichneten Autor Mats Wahl gelingt es zu überraschen, ja zu schockieren. Während die sowohl weiblichen als auch männlichen Leser ab circa 14 Jahren am Ende des Romans erwarten, dass dem Protagonisten Tom wieder einmal Unrecht geschieht, zeigt es sich, dass schließlich er derjenige ist, der völlig durchknallt. Und dieses Durchknallen, die Tatsache, dass Tom den Liebhaber seiner Mutter nicht nur einmal, sondern mehrfach anschießt, weil dieser seiner minderjährigen Halbschwester Annie an die Wäsche will, bereitet der Autor sehr subtil schon von Beginn an vor.

Die Streitereien und Kämpfe, die sich zwischen Tom und Morgan abspielen, dürften den jugendlichen Lesern nicht fremd sein. Auch der Umstand, dass Annie sich gerne mit Freundinnen trifft, einkauft, und ansonsten nichts als Jungen im Kopf hat, ist den pubertierenden Lesern sicherlich vertraut. Und dass sich Eltern scheiden lassen, Familien getrennte Wege gehen, eine Mutter Kinder mit mehreren Männern hat und nicht nur Mutter ist, sondern auch Geliebte sein kann, ist nicht immer angenehm für die Jugendlichen, aber stellt eben die Lebenswirklichkeit dar. Insofern ist der Jugendroman von Mats Wahl sehr realistisch und glaubwürdig.

Verändert sich Tom im Laufe des Romans? Gibt es einen Tom in Sundsvall, seinem vorherigen Wohnort, und einen Tom an seinem neuen Wohnort, im Haus am See? Nein, Tom kann nach wie vor seinen Halbbruder und die Liebhaber seiner Mutter nicht leiden. Er sehnt sich noch immer nach seinem Vater und lässt sich stattdessen mit dem zwielichtigen Nachbarn ein. Er kommt nicht an gegen die Verlogenheit seiner Klassenkameraden, gegen den Rechtsradikalismus, gegen die Mitläufer, gegen die nicht anpassungswilligen Migranten und gegen die Eltern, die dem Ganzen stillschweigend zustimmen. Jedoch bleiben diese Themen, die den Protagonisten beschäftigen, auch in den vielen Dialogen unausgesprochen. Lediglich insofern verändert sich Tom, als er endlich auf diese Widersprüche reagiert, als er irgendwann nicht mehr "funktioniert".

Es gibt also keinen alten Tom, und es gibt keinen neuen Tom. Aber es gibt einen Tom, dessen Probleme lange schon nicht zur Sprache kommen, der nicht die Wahrheit sagt, der nach der Schießerei Medikamente von einem Psychiater bekommt und Termine bei einer Psychotherapeutin wahrnimmt, denn er ist deprimiert. Zuerst ist er sprachlos, befindet sich scheinbar stets in der Verteidigung und auf der Hut, bis schließlich die Wut auf seine Familie, auf seinen ihm fehlenden Vater, auf seinen ihn provozierenden Bruder, auf seine viel zu sehr mit sich selbst beschäftigte Mutter oder auf seine verlogenen Klassenkameraden aus dem 14-Jährigen heraus bricht.

Eine Identifikation mit der Hauptfigur Tom ist zwingend, ist der Leser doch dazu aufgefordert, das offene Ende zu interpretieren, um die Gefühle und Gedanken des Protagonisten zu verstehen, ja sogar nachzuempfinden. Dass Tom der Ich-Erzähler ist, erleichtert die Identifikation mit ihm. Der 240 Seiten lange, fesselnde, und in 31 Kapitel unterteilte Roman ist gut lesbar, die Sprache einfach.

Beängstigend wirken verschiedene Gegenstände und Gegebenheiten, die hier und da im Roman auftauchen, sei es das Bild in Toms Zimmer von van Gogh mit nur einem Ohr oder auch der Nachbar und zugleich Großvater mit nationalsozialistischer Vergangenheit, der dem Protagonisten das Schießen beibringt. Es geht dem Autor darum, die Dramatik zu steigern und die Eskalation am Ende des Romans vorauszudeuten.

Das Cover zeigt einen Jugendlichen, der auf einem aus einem See herausragenden Stein steht. Um den See herum gibt es nur Bäume. Der Jugendliche hat dem Leser den Rücken zugewandt, scheint einsam zu sein und könnte gut die Hauptfigur Tom sein. Der Titel des Romans kann als Appell des Autors nicht nur an seinen Protagonisten verstanden werden, sondern an alle Personen des Buches, letztlich sogar an den Leser: Die Wahrheit sagen, nicht alles für sich behalten!

Der Roman sollte in keinem Büchereigrundstock fehlen und eignet sich ausgezeichnet als Klassenlesestoff nicht nur für den Deutschunterricht, sondern auch für Geschichte, Religion oder Ethik.

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Diese Rezension wurde verfasst von mz.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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