Der Ernst des Lebens macht auch keinen Spaß

Autor*in
Wortberg, Christoph
ISBN
978-3-407-74659-7
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
190
Verlag
Gattung
Erzählung/RomanTaschenbuch
Ort
Weinheim
Jahr
2016
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
7,95 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Der 16-jährige Lenny lebt mit seinen Eltern und seinem älteren Bruder Jakob in München. Das Familienleben scheint intakt bis zu dem Tag, an dem Lennys Bruder in den Bergen verunglückt. Die familiären Strukturen geraten ins Wanken und Lenny stellt Nachforschungen zum Tod seines Bruders an. War es wirklich nur ein Unfall? Ein großartiges Buch über ein sehr ernstes Thema und vom Schein und Sein einer heilen Familienwelt.

Beurteilungstext

„Mein Bruder war ein Held.“(S.7) – mit diesem Satz endet der Prolog in dem Roman „Der Ernst des Lebens macht auch keinen Spaß“ von Christoph Wortberg. Der Nachhall dieses Satzes erzeugt beim Leser schon eine bedrückende Vorahnung im Hinblick auf die tragischen Geschehnisse in diesem Roman.
Lenny und seine Eltern sind auf dem Weg zu seinem älteren Bruder Jakob, der nach einem schweren Bergunfall auf der Zugspitze im Klinikum in Garmisch liegt. Jedoch sind sie nicht auf dem Weg, ihn zu besuchen, sondern, um nach der Diagnose „Hirntod“, die lebenserhaltenden Geräte abschalten zu lassen. Christoph Wortberg beschreibt diese Ausgangsszene auf eine zutiefst berührende Art und Weise, die den Leser die Verzweiflung der Familie hautnah spüren lässt. Die Darstellung der Trauer nach Jakobs Tod lässt den Leser schon vermuten, dass das scheinbar intakte Familienleben nur eine bröckelnde Fassade ist. Die Familie verfällt in eine Art Schockstarre, aber sie trauern nicht gemeinsam, sondern jeder für sich allein: die Mutter schluckt immer mehr Beruhigungstabletten, der Vater greift zum Alkohol und Lenny halluziniert von seinem Bruder. Zunächst scheint sich jeder von ihnen auch damit abzufinden, dass es sich bei diesem tragischen Ereignis um einen Unfall handelt. Auf Jakobs Beerdigung ist es jedoch die folgende Aussage des besten Freunds Max, die Lenny plötzlich an der Theorie des Unfalls zweifeln lässt: „Ein Typ wie Jakob. Der seit seiner Kindheit geklettert ist. So einer stürzt nicht ab.“ (S.44). Als dann noch ein unbekanntes Mädchen am Grab seines Bruders auftaucht, beginnt Lenny Nachforschungen anzustellen, wer sein Bruder wirklich war. Dabei begegnet er wieder diesem Mädchen (ihr Name ist Rosa) und muss feststellen, dass sie seinen Bruder besser kannte, als er ahnt… Lennys Eltern hingegen wollen von alledem nichts wissen und leben so weiter, als würde Jakob noch leben - ihr geliebter Sohn, dem immer alles leicht zu fallen schien und der als Jahrgangsbester ein Pharmaziestudium in München beginnen sollte, um dann die Apotheke seines Vaters weiterzuführen. Alles war für ihn schon vorbestimmt, aber „wie soll einem der Ernst des Lebens da noch Spaß machen?“ (S.173).
Christoph Wortberg erzählt den Roman in 30 kurzen, nicht weiter überschriebenen Kapiteln aus der Ich-Perspektive des jüngeren Bruders Lenny. Dabei verwendet er eine nahezu berichtende, aber auch sehr bildhafte Sprache, mit der die Ereignisse chronologisch im Präsens und mit umfangreichen Rückblenden im Präteritum dargestellt werden. Er setzt sich mit dem ernsten Thema des Suizids auseinander, behandelt dieses Thema aber nicht verkrampft. Vielmehr zeigt er auf, dass es wichtig ist, offen darüber zu reden – was er in seinem aufrüttelnden Roman von Beginn an auch tut.
Darüber hinaus thematisiert Wortberg das scheinbar intakte Familienleben, welches nach dem Tod von Jakob ins Wanken gerät. So muss Lenny bei seinen Nachforschungen schmerzhaft feststellen, dass innerhalb seiner Familie nichts so ist, wie er dachte. Die Apothekerfamilie wahrt nach außen hin eine heile Welt. Im Inneren aber sind die Familienverhältnisse zerrüttet. Nur die Beziehung zwischen den ungleichen Brüdern scheint gestimmt zu haben – einerseits ist da Jakob mit seiner reibungslosen Biografie, aber auch der Angst, kein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Andererseits gibt es Lenny, den „Nachzügler“, der von seinen Eltern nach dem Tod seines Bruders noch weniger Aufmerksamkeit und Beachtung erfährt. Trotz dieser unterschiedlichen Zuwendung durch die Eltern ist die Beziehung zwischen großem und kleinem Bruder sehr eng und liebevoll. Umso nachvollziehbarer ist für den Leser die Fassungslosigkeit Lennys über den Tod seines Bruders und die damit einhergehenden Frage, welchen Sinn das Leben ohne Jakob für ihn noch hat. Immer wieder halluziniert Lenny von seinem toten Bruder und tritt mit ihm ins Gespräch. Diese berührenden Dialoge sind traurig, aber auch von Humor geprägt. Formal werden diese Gespräche in kursiv gedruckter Schrift dargestellt und ohne Anführungszeichen trotz direkter Personenrede. Letztlich schwingt im Roman noch die Frage nach der Schuld mit. Jede Figur fühlt sich auf ihre Art und Weise verantwortlich für den Tod Jakobs. Lenny zerreißt es innerlich fast und er stellt sich immer wieder die Frage, warum sein Bruder ausgerechnet ihm nie etwas erzählt hat. Doch im Laufe seiner Nachforschungen erkennt er, dass „man niemanden retten kann, der nicht gerettet werden will.“ (S.185). Mit dieser Erkenntnis kann er den Tod seines Bruder besser für sich annehmen. Die letzte Halluzination, mit der der Roman zugleich beendet wird, stellt dieses schmerzhafte Loslassen des Bruders dar. Ein Loslassen, welches für Lenny aber auch notwendig ist, um neu anfangen zu können.
Der Leser wird mit einem offenen, aber nicht schwermütigem Ende zurückgelassen, welches viele Fragen aufwirft: Was wird aus Lenny? Was wird aus der Familie? Wie gestaltet sich die Beziehung zwischen Rosa und Lenny?
Insgesamt ein sehr intensives, emotionales Buch, was nur zu empfehlen ist!

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Diese Rezension wurde verfasst von anka; Landesstelle: Sachsen-Anhalt.
Veröffentlicht am 02.07.2017

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