Alice im Spiegelland

Autor*in
Carroll, Lewis
ISBN
978-3-946593-22-5
Übersetzer*in
Scheu-Riesz, Helene
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Lacombe, Benjamin
Seitenanzahl
296
Verlag
Jacoby & Stuart
Gattung
Buch (gebunden)Fantastik
Ort
Berlin
Jahr
2017
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
39,95 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Lacombes Bilder sind ungewöhnlich beeindruckend, aufwendig gestaltet, auch doppelt aufklappbar. Mal kraftvoll farbig, mal sparsam rot-schwarz skizziert, illustrieren sie Alice, ihre Figuren und das der Geschichte zugrunde liegende Schachspiel neu und einmalig. Alice im Spiegelland ist textlich wenig verändert aber mit Anhängen zu Autor, Gestalter und Übersetzerin versehen. Zusätzlich dokumentiert er 4 mathematische Knoten und deren unterschiedliche Auflösungen durch Carroll und seine Anhänger.

Beurteilungstext

Die fantastische Erzählung „Alice im Spiegelland“ ist etwa sechs Jahre nach dem ersten Band erschienen. Sie ist in der von Lacombe aufwändig gestalteten Ausgabe um den Anhang biographischer Details zu den Autoren, um vier der von Carroll in Zeitschriften veröffentlichten algebraischen „Knoten“ (komplexe Denksportaufgaben, die er als Professor für Mathematik seinen Lesern stellte) erweitert. Sie sind durch Zeichnungen Lacombes zusätzlich gestaltet und beinhalten sowohl die ihm von Lesern eingeschickten Lösungsversuche als auch die Kommentare zu diesen durch Carroll. Dieser benotete sogar die gefundenen Lösungen, indem er sich direkt an die Einsender wandte.

Weiterhin gibt es sowohl einen illustrierten Anhang zur Übersetzung von Helene Scheu-Riesz und zu der aktuellen Überarbeitung durch Nicola T Stuarts, als auch kurze Bibliographien beider Autoren.
In den Angaben zu Carroll ist u.a.zu erfahren, dass er die seinen Texten zugrunde liegende Figur – die zehn jährige Tochter seines Dekans – tatsächlich heiraten wollte. Er hatte viel Kontakt zu ihr. Nach seinem Antrag wurde ein weiteres Treffen mit ihr untersagt.

Im Anhang finden sich Bilder, die wie Fotos anmuten (Carroll war auch Fotograph). Sie zeigen u.a. die 'echte' Alice mit einem Kaninchen auf dem Arm. Beide schauen durch nicht natürlich wirkende große Augen. Ob Lewis Carroll, mit echtem Namen Charles Lutwige Dodgson, auch selbst gezeichnet hat und die Zeichnungen dann fotografierte, geht aus dem Anhang nicht hervor.
Lacombe zeichnet die Augen von Alice und vieler anderer Figuren in diesem Buch so, als zitiere er diesen Ausdruck. Zumindest nimmt er Bezug auf die Abbildungen
Für diese hochwertige Neuausgabe sind der Buchtitel (Alice hinter den Spiegeln) und die Kapitelüberschriften verändert.
Das Format (20,2 x 28,2 cm) wird großzügig genutzt: Der Text ist durch die breite Mittelspalte gut lesbar, zumal die Textseiten zusätzlich durch skizzierte zumeist schwarz-weiße Zeichnungen und Schraffuren unterbrochen sind. Die dargestellten Schachfiguren verdeutlichen den Fortgang des Weges durch die Landschaften, die die Elemente eines überdimensionalen Schachbrettes versinnbildlichen.
Nach dem Vorwort zu beiden Bänden der Alice durch Lacombe und den Hinweisen zum Stand der Figuren bei Spielbeginn, sind die Zuordnungen der handelnden Figuren zu den Schachfiguren aufgelistet, so dass das Spiel auf dem Schachbrett – wie im Originalbuch - nachvollzogen werden kann. Manchmal lässt Carroll -regelwidrig zugunsten der Erzählung - zwei Züge hintereinander zu. Alice gewinnt in elf Zügen.
Die Dialoge der Protagonisten sind schnell erkennbar abschnittweise gedruckt. Verse und Lieder sind kursiv eingefügt. Es sind komplexe poetische, zumeist verschlüsselte, manchmal unverständliche Reime und Sprachspiele. Einige davon sprechen alle englischen Kinder - laut Anhang -, bereits sehr früh auswendig. Ob dies tatsächlich heute noch so ist, bleibt in Frage zu stellen.

Mit den Schriftgrößen wird vor und auf den Rücken der aufklappbaren Seiten gespielt, wodurch auf den Text in besonderer Form zurückverwiesen wird. Er gewinnt eine hervorgehobene Bedeutung an diesen Stellen: Dies sind
- die Szenen mit den Spiegelinsekten,
- die Bootsfahrt mit dem Schaf, und
- der Trommelwirbel beim Zerschneiden der Torte.
Zu diesen zusätzlichen Ebenen und der Auswahl der Szenen äußert sich Lacombe nicht.

Die kleine Alice ist im Spiegelland bereits älter als im Wunderland, das für Kinder erzählt wurde. Lacombe sieht in der Erzählung, in der sich Absurdes und vollkommen logische Überlegungen abwechseln, keine Geschichte mehr, die Carroll für Kinder erzählt "...,..vorgespielte Unschuld (befreit) ihn von jeder ethischen Verantwortung und jedem Vernunfturteil."
Sprache und Sprachkritik, sowie existentielle Grundbedingungen stellt Carroll lt. Lacombe fortwährend in Frage. Alice hat Initiationsaufgaben zu bewältigen und macht die Entwicklung vom "Lilienkind" zur Königin durch.
Im weißen Ritter, der als überzeugter und geübter Reiter trotzdem immer wieder vom Pferd fällt, um dann von Alice ebenso zuverlässig wieder aufgehoben zu werden, hat sich der Autor – so Lacombe – ohne es zuzugeben, selbst karikiert.

Alice sucht sich – nachdem sie in das Spiegelland eingetreten ist - ihren Weg durch die Landschaften und über die Grenzen der Schachfelder. Sie überwindet Hindernisse und löst auch die ihr gestellten sprachlichen Herausforderungen, bis sie selbst zur dritten Königin wird. Der Weg beinhaltet phantastische Begegnungen mit den bekannten Protagonisten wie z.B. Blumen, Insekten, Dideldum und Dideldei, Humpty Dumpty, das strickende Schaf, Löwe und Einhorn, weißes Pferd.

Geht es im Inhalt um die rote Königin (Lacombe verwendet die traditionell rote Farbe der Figuren) sind die Illustrationen rot oder schwarz-rot gestaltet.

Neben den vielen Skizzen gibt es großartige ganzseitige, sowie doppelseitige und auch doppelt aufklappbare Gemälde. Sie sind ungeheuer detailliert farbig ausgearbeitet und zeigen in herausragender Form die fantastisch gestaltete Phantasiewelt, in die Alice auf den einzelnen Feldern eintaucht. Die Grundstimmung ist meist unheimlich dunkel, zumindest abenteuerlich. Manche Bilder sind wie echte historische Gemälde gerahmt. Es macht den Anschein, als sei Alice in historische Bilder hineinversetzt, hinein in etwas bereits immer schon archaisch Vorhandenes.

Wäre da nicht die Gestaltung des Mädchens selbst. Mit überdeutlich großen Augen, - dem Rehkitz auf einer der ersten Seiten entlehnt oder der scheinbaren Fotographie im Anhang -, schaut sie mehr in sich selbst hinein als auf die Welt. Sie folgt den Traumbildern, die mit dem Spiel ihrer Katzen beginnen und zum Schluss auch in ihrem Leben vor dem Spiegel im Sessel wieder enden. Die Katzen spielend vor ihren Füßen.

Alice ist als Kindfrau gestaltet, oft lasziv, mit großem Kopf, mit schlanken schönen Beinen, in geschnürten Schuhen, wunderbaren Kleidern und mit wunderschönem langen Haar. Ihre Naivität steht in Gegensatz zu ihrem verführerischen Aussehen. Lacombe schafft das idealisierte Bild der Alice neu.
Von daher sind auch die Bilder Lacombes weniger für Kinder gemalt, als vielmehr für erwachsene Leser.
Die hochwertige Cover-Gestaltung imitiert braunes Leder. Glänzendes Silber findet sich in der Schrift und natürlich im reflektierenden Spiegel, aus dem Alice gerade heraustritt.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von stoni; Landesstelle: Nordrhein-Westfalen.
Veröffentlicht am 09.09.2017

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