Zeit für Astronauten

Autor*in
Mohl, Nils
ISBN
978-3-499-21678-7
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
432
Verlag
Rowohlt
Gattung
Taschenbuch
Ort
Reinbek
Jahr
2016
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
14,99 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

„Zeit für Astronauten“ ist der krönende Abschluss der Stadtrand-Saga-Trilogie von Nils Mohl und es ist ein sagenhaftes Buch durch und durch. Konsequent im Erzählten und im Erzählen führt Mohl das spannenste Jugendroman-Projekt Deutschlands zu Ende. Einfach großartig.

Beurteilungstext

Nils Mohl kann als einer der zurzeit ungewöhnlichsten Jugendbuchautoren bezeichnet werden. Ins Zentrum der literarischen Öffentlichkeit ist Mohl insbesondere durch die ersten beiden Bände seiner Stadtrand-Trilogie getreten („Es war einmal Indianerland“, „Stadtrandritter“), deren dritter Band jetzt vorliegt. Die Trilogie umfasst einen vielschichtigen Erzählkosmos, der durch ein wechselndes aber immer wiederkehrendes Figurenarsenal zusammengehalten wird.
Wie schon in den ersten 2 ½ Bänden schickt Mohl auch im dritten Band seine Figuren los, um Erfahrungen zu sammeln. Drei Figuren sind es im vorliegenden Band, die man als Leser einen kleinen Zeitabschnitt ihres Lebens begleiten darf. (1) Da ist der fast 16jährige Körts, der in den Hochhausriegeln wohnt, aber gebügelte Hemden trägt und in einem Reisebüro des Einkaufszentrums sein Schülerpraktikum absolviert. Körts träumt von der rund fünf Jahre älteren und „cola-äugigen“ Domino (2), die für ihn nahezu unerreichbar scheint. Domino wiederum erhält eine rätselhafte Postkarte von Bozorg (3), ihrem verschollenen Ex-Mitbewohner. Dieser hat sich nach dem plötzlichen Tod seiner Freundin Kitty auf eine 3000 Kilometer entfernte Insel im Süden Europas zurückgezogen, ohne irgendjemanden über seinen Verbleib zu informieren. Auch die Postkarte lässt keinen eindeutigen Schluss auf seinen Aufenthaltsort zu. Einzig Körts meint, die mysteriöse Bar ‚Shangri la Bamba‘ identifizieren und geografisch verorten zu können. Körts vage Vermutung stellt somit für Domino den einzigen Anhaltspunkt auf der Suche nach Bozorg dar.
Es sind drei Lebenswege, die sich in „Zeit für Astronauten“ kreuzen. Die Figuren kommen dabei nicht umhin, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen, die sich in ihre Gegenwart drängt, um ein Bild von der eigenen Zukunft zu gewinnen. Unaufhaltsam läuft alles in einem Countdown auf den einen Moment zu, der alles zu entscheiden scheint.
Die drei Figuren und damit auch die drei Handlungsstränge, die trotz aller Verstrickungen zuerst nebeneinander entwickelt werden, verdichten sich abschließend zu einem Gesamtgeschehen, indem die Erzählperspektiven immer schneller ineinander übergehen. Alles läuft auf den einen Moment hin, der über die Zukunft entscheidet. Nach diesem ‚Knall‘ werden die Perspektiven wieder getrennt.

Zeit für Astronauten ist ein vielschichtiges Werk, das für die Auseinandersetzung im Literaturunterricht zahlreiche Anknüpfungspunkte bietet. Nils Mohl erzählt in diesem Roman jenseits aller sprachlichen und dramaturgisch-erzählerischen Kunstgriffe eine Geschichte, in der existenzielle Fragen gestellt werden. Zentral ist die Frage, was man aus seinem Leben machen will. Die erzählerische und sprachliche Gestaltung leistet dabei einen überzeugenden Beitrag, nah an die (inneren) Kämpfe der Figuren heranzukommen und die wesentliche Rolle der Hoffnung im menschlichen Leben literarisch erfahrbar zu machen. Ohne Frage sind Mohls Werke anspruchsvoll, insofern sie eine sehr genaue Lektüre und die intensive Mitarbeit des Lesers verlangen. Während die Funktionen von chronologisch gebrochenem Erzählen sowie sich überlagernden und z.T. widersprechenden Perspektiven für das Erzählte bei einigen Autoren nebulös bleibt, ist der Einsatz derartiger moderner Erzählformen bei Mohl kein Mummenschanz. Form und Inhalt stehen bei ihm in einem engen Verweiszusammenhang, sodass der Leser für seine konstruktive Mitarbeit gebührend entschädigt wird. Er wird es auch durch Figuren und Sprache: Mohl entwirft extrem stimmige Figurenzeichnungen, die maximal authentisch erscheinen und doch an keiner Stelle platt realistisch sind. Und das gilt auch für ihre Sprache. Mohl, der selber in Hamburg Jenfeld geboren ist, ein Stadtteil, der dem der Textwelt nicht unähnlich ist, kennt die Sprache seiner Figuren. Und er kennt sie so gut, dass er sie nicht zu imitieren braucht, sondern zum Zwecke seiner Darstellung adaptiert. Jede Figur erhält eine eigene Stimme, die ihr Individualität verschafft. Den spezifischen Mohl-Sound erzeugt der Erzähler. Mit seiner Erzählstimme wird die textuelle Umgebung der sozialen Herkunft der Figuren und ihrer persönlichen Gewohnheiten angepasst und ein unverwechselbarer Klang erzeugt.
Man kann „Zeit für Astronauten“ gut als eigenständigen Roman lesen und wird dies im Literaturunterricht vermutlich immer tun müssen. Wenngleich einem dann einige Querverbindungen verschlossen bleiben, wird deutlich: Um Hoffnungen in konkrete Zukunft zu verwandeln, müssen die Figuren mit den Herausforderungen ihres Lebens umgehen und das auch dann, wenn sie nicht wissen, was dabei herauskommen wird: Denn „ [d]as Leben ist zu kurz für Kompromisse“. Dieses Buch sollten Sie unbedingt lesen.
(AJuM Hamburg, Jochen Heins)

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Diese Rezension wurde verfasst von jhe; Landesstelle: Hamburg.
Veröffentlicht am 19.12.2016

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