You are (not) safe here

Autor*in
McCauley, Kyrie
ISBN
978-3-423-74055-5
Übersetzer*in
Gutzschhahn, Uwe-Michael
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
390
Verlag
dtv
Gattung
Erzählung/RomanTaschenbuch
Ort
München
Jahr
2020
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
14,95 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Leightons Vater ist gewalttätig. Er schlägt die Mutter, sie und ihre jüngeren Schwestern nicht, aber immer wieder sitzen sie im Kleiderschrank und hoffen, dass der Wutanfall vorbeigeht, ohne dass er sie sucht und ohne dass der Mutter etwas ganz Schlimmes zustößt. Obwohl: Wie schlimm muss es werden, bevor jemand ihnen hilft?

Beurteilungstext

Eingebettet in eine Liebesgeschichte zwischen Leighton und dem in der ganzen Schule beliebten Liam erzählt die Protagonistin in der ersten Person von ihrem Balanceakt zwischen Schule und Zuhause. Ihr Ticket heraus aus der Situation sind sehr gute Noten, also die Perspektive, auf eine andere Hochschule als das College in der Nähe zu gehen. Aber gleichzeitig weiß sie auch, dass sie dann den Schwestern nicht mehr helfen kann. Die Mutter lässt sich immer wieder vom Vater beschwichtigen und verlässt ihn nicht.
Als Leighton und Liam sich näherkommen, bemerkt er schnell, was los ist bei ihr zu Hause. Aber sie will nicht, dass er sich einmischt, sie will sich keine Hilfe holen. Sie wartet im Grunde darauf, dass einer der vielen Menschen der Umgebung, die sehen, was geschieht, das wahrhaben wollen und eingreifen, oder dass die Mutter sich doch zur Trennung entschließt. Als die Mutter endlich diesen Schritt machen will, sperrt der Vater sie und die Mädchen ein. Durch eine unvorsichtige Handhabung einer Petroleumlampe, mit der die Schwestern sich immer im Wandschrank Licht machen, entsteht ein Feuer. Oder war es Absicht? Auf jeden Fall können die Menschen, die herbeieilen, nun nicht mehr die Augen verschließen vor dem, was geschieht, und die Mutter und die Mädchen haben eine Perspektive.
Parallel zu dieser dramatischen, berührenden und beklemmenden Geschichte, die psychologisch und atmosphärisch dicht erzählt wird, beschäftigt sich Leighton mit den Krähen, die in täglich anwachsender Zahl die Kleinstadt bevölkern. Knapp 100.000 sind es kurz vor dem Ende des Buches. Die meisten Einwohner sehen die Krähen als Belästigung, sogar als Feinde, und versuchen auf alle möglichen Arten, sie loszuwerden. Leighton und ihre Schwestern mögen die Krähen, vor allem eine, die sie Joe nennen, und mit dem sich die jüngste Schwester in einem "Geschenkeaustausch" befindet. Die Krähen, in dieser Zahl durchaus realistisch für eine US-amerikanische Kleinstadt, sind in diesem Roman aber fantastische Elemente. Joe rettet die Familie, indem er im richtigen Moment die richtigen Dinge "klaut" und zurückbringt. Und die Krähen treiben den Vater beim Feuer zurück ins Haus - als Rächer der Mädchen? Allerdings retten Leighton und die mittlere Schwester, die ein großes Schuldgefühl hat, weil sie das Feuer verursacht hat, den Vater. Und nun sind die Krähen plötzlich verschwunden, sie werden nicht mehr gebraucht.
Ein weiteres fantastisches Element ist das Haus der Familie, in dem der Vater bereits aufgewachsen ist und selbst häusliche Gewalt erlebt hat. Das Haus "repariert" über Nacht, was der Vater in seinen Wutanfällen und Gewaltausbrüchen zerstört hat, und Leighton erkennt nach und nach, dass es dadurch den Vater vor Entdeckung schützt. Das Haus ist kein Ort des Schutzes für die anderen Familienmitglieder, im Gegenteil: You are not safe here.
Der Roman ist beeindruckend. Intensive, dichte Beschreibungen lassen uns Leightons Tage direkt miterleben - ihren Kummer, ihre Angst, aber auch ihre Hoffnung, ihre Zerrissenheit, denn sie möchte niemandem mitteilen, was sie erlebt, lässt nie Freundinnen zu sich nach Hause kommen und braucht lange, um Liam an sich heranzulassen. Hier hilft ihr, dass er, obwohl einer der beliebtesten Schüler der High School, intelligent und kritisch ist, einfühlsam und tiefsinnig. Er, einer der wenigen dunkelhäutigen Menschen in dieser Kleinstadt, erlebt täglich Rassismus in unterschiedlichster Form und ist eben keineswegs der glatte, oberflächliche und erfolgreiche Junge, wie sie erst vermutet.
Die fantastischen Elemente intensivieren die Dichte des Romans. Die Krähen sind dabei ein fantastisches Element, das bei der Lösung des Problems hilft. Aber der Umgang der meisten Einwohner*innen der Stadt mit ihnen steht auch für einen Umgang mit unerwünschten oder unbequemen Wahrheiten.
Wer alt genug ist, erinnert sich vielleicht an Jean Craighead Georges "Krähe am Morgen" oder, etwas jünger, an "Taubenjagd" von Jerry Spinelli. In diesen beiden Jugendromanen wird eine ähnliche Thematik aufgegriffen. Auch in der Kurzgeschichte "The Lottery" von Shirley Jackson findet sich eine ähnliche Handlung. In jeder Hinsicht aber hat die Autorin hier eine vielschichtige Erzählung geschaffen und mit der Lösung am Ende ein fantastisches Element ganz im Sinne Wolfgang Meißners genutzt: Manchmal sind fantastische Lösungen glaubwürdiger und weniger märchenhaft als solche, die durchgängig realistisch sind.
Die Übersetzung durch den erfahrenen und begründet renommierten Uwe-Michael Gutzschhahn wird einem solch poetischen und ergreifenden Buch absolut gerecht.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Gudrun Stenzel; Landesstelle: Hamburg.
Veröffentlicht am 03.10.2020

Weitere Rezensionen zu Büchern von McCauley, Kyrie

McCauley, Kyrie

Ihr sollt (nicht) schweigen

Weiterlesen
McCauley, Kyrie

You Are (Not) Safe Here

Weiterlesen
McCauley, Kyrie

You are not safe here

Weiterlesen
McCauley, Kyrie

You are not safe here

Weiterlesen