You are not safe here

Autor*in
McCauley, Kyrie
ISBN
978-3-423-74055-5
Übersetzer*in
Gutzschhahn, Uwe-Michael
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
393
Verlag
dtv
Gattung
Erzählung/RomanTaschenbuch
Ort
München
Jahr
2020
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
14,95 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Wir begleiten die 17-jährige Leighton in ihrem letzten Jahr an der Highschool in einer Geschichte über häusliche Gewalt, Schwestern und die erste Liebe. Der Debutroman schildert eindrücklich und feinfühlig zugleich die Realität des Lebens in einer Kleinstadt der USA, die von Krähen überfallen wird, und den Alltag von Opfern häuslicher Gewalt. Der sensible Umgang mit der Thematik ist verbunden mit einem atmosphärischen Schreibstil, der es schwer macht, das Buch aus der Hand zu legen.

Beurteilungstext

„Und hier ist, was ich über Auburn weiß. Ich weiß von panischem Klopfen nachts an Türen, das ignoriert wird. Ich weiß von Männern, die wegschauen, wenn ihr Freund das Problem ist. Ich weiß ganz genau, wie einfach es für die Leute hier ist, bei einem Footballspiel wegzugucken und sich mit dem hohlen Gefühl zu trösten: Das geht uns nichts an. Denn Auburn ist eine Stadt, in der die Menschen nur sehen, was sie sehen wollen. Auburn ist eine Stadt, wo die Menschen nichts sehen. Deshalb beginne ich mit der Formulierung meiner These. Dem wahrsten Satz, den ich kenne. Und jedes Wort, das folgt, muss diese Behauptung stützen. Es sind nicht die Krähen, die Auburn hässlich machen“ (S. 320f.).

Die Kleinstadt Auburn in den USA wird von Krähen belagert. Die Einwohner sehen in ihnen ein Ärgernis, doch die 17-jährige Leighton hat andere Probleme. In Leightons Zuhause regiert die Angst. Dort, wo andere Menschen sich am sichersten fühlen, ist es für sie am gefährlichsten. Leighton empfindet ein starkes Verantwortungsbewusstsein ihren jüngeren Schwestern gegenüber. Doch sie ist in ihrem letzten Schuljahr und muss sich entscheiden, ob sie gehen oder bleiben soll. Ihr Verantwortungsbewusstsein steht im Konflikt zu ihrem Freiheitsdrang und ihr läuft die Zeit davon. Zur Hilfe kommen erstaunlicherweise die Krähen, die die Kleinstadt scharenweise überziehen.


Die Geschichte spiegelt den Alltag von Opfern häuslicher Gewalt und emotionalen Missbrauchs eindrücklich wider. Sie zeigt, wie Körper und Geist in einem ständigen Ausnahmezustand existieren, während die Anspannung nie nachlässt. Der Schreibstil der Autorin ist so eindrücklich, dass er für sich selbst sprechen kann: „Ich weiß, was da eingesperrt ist in mir. Was mir meine schlimmsten Befürchtungen entgegenschreit, wenn ich versuche einzuschlafen. Das Ding, das in mir zu Eis wird, wenn ich ihm antworte. Und es ist auch an den Tagen da, wenn alles in Ordnung ist und mir die Sonne ins Gesicht scheint. Selbst wenn ich in Sicherheit bin, fragt sich ein Teil von mir immer, wann es wieder losgehen wird. Und es hockt in meiner Brust - dieses Ding. Es ist Angst“ (S.230).

Die Opfer häuslicher Gewalt sind einem emotionalen Tauziehen ausgesetzt, da es sich bei dem Täter um einen geliebten Menschen handelt. Täter sind oft nicht einfach nur „böse“. Sie können auch lachen und mit Freunden und Familie Spaß haben. Die Autorin thematisiert die emotionale Bindung, wegen der Opfer ihre Täter oft nicht verlassen. In Leightons Worten: „Stattdessen macht sie alles noch schlimmer, seine Liebe zu uns. Und unsere zu ihm. Sie macht es unmöglich, ihn zu verlassen.“ (S. 160). Herzzerreißend beschreibt Leighton besonders die emotionale Abhängigkeit ihrer Mutter von ihrem Ehemann: „Und dann begreife ich, dass ihr nicht alles wehtut, weil er ihr Gesicht gepackt hat, ihr hässliche Namen entgegengeschleudert hat, ihr ein Messer an die Kehle gedrückt hat, ihr gesagt hat, dass es für die besser wär, tot zu sein als ohne ihn, und dass er sie höchstpersönlich in die Hölle bringen wird. Ihr tut alles weh, weil er gegangen ist. Ihr tut alles weh, weil sie möchte, dass er zurückkommt“ (S. 258).

Erschreckend realistisch dargestellt sind die Reaktionen der Mitmenschen auf die häusliche Gewalt, die Leighton und ihre Familie erleben. Als sie sich hilfesuchend an die einzige Nachbarin, eine schon ältere Frau, wenden, fordert diese die Schwestern auf zu Nachsicht und Verständnis ihrem Vater gegenüber. Sie erklärt den Mädchen, die Pflicht der Frauen wäre es, die Männer zu unterstützen und ihnen zu vergeben. Sie fordert sie auf, ihren Vater nicht in Verlegenheit zu bringen, sondern ihn still und leise zu ertragen. Als Leser fühlt man die gleiche Übelkeit, die Leighton beim Zuhören empfindet.

Das Buch äußert eine umfassende Gesellschaftskritik, von der systemischen Unterdrückung von Frauen hin zum familiären Zyklus von Gewalt, in den Außenstehende nicht eingreifen. Ein deutlicher Fingerzeig auf Nachbarn und Familienfreunde, die lieber wegschauen statt zu helfen. Auch scheinbar freundliche und nette Menschen können diesen Zyklus unterstützen und man muss kein „schlechter“ Mensch sein, um schuldig zu werden.


Neben der relevanten Thematik weist das Buch einen atmosphärischen Schreibstil und individuell ausgeformte Charaktere auf. Nicht zuletzt liegt das an der Übersetzung, die sehr gelungen ist und den Lesefluss erleichtert. Der Schreibstil ist dem jugendlichen Sprachgebrauch angemessen, ohne zu stark auf Umgangssprache zu setzen. Die Charaktere erwachen dadurch auf den Seiten zum Leben. Besonders zu der Protagonistin und Ich-Erzählerin Leighton baut sich Nähe auf. Es fällt ihr schwer, sich anderen Menschen gegenüber zu öffnen oder neue Bekanntschaften zu knüpfen. Doch sie kämpft gegen ihre eigenen Schutzmechanismen. Sie möchte den Zyklus durchbrechen, der schon mit ihrem Großvater begann: „Mein Großvater war im Krieg und kehrte zerstört zurück. Mein Vater ist in einem Haus aufgewachsen, das Wut wie einen Stein in der Faust hielt. Als ob sie etwas sein, dass sich aufzuheben lohnte. Und das bildete die Form unseres Familienstammbaums. Wenn das Vermächtnis Wut ist, ist das Erbe Angst“ (S. 194).

Leighton ist ein mehrdimensionaler und dynamischer Charakter, der sich mitten im Chaos seine eigene Nische schafft und für ihre Schwestern und ihre Mutter kämpft. Sie schafft es, sich einen gewissen Optimismus und einen Glauben in die Menschheit zu bewahren, auch wenn sie sich von vielen Mitgliedern der kleinen Stadtgemeinschaft im Stich gelassen fühlt. Dadurch kann sie wundervolle Freundschaften aufbauen und auch die erste Liebe erleben. Das gibt ihr Halt und neuen Mut. Leightons Geschichte vermittelt Hoffnung. Darauf, dass es besser wird, und darauf, dass man emotional heilen kann und wieder in der Lage sein wird, zu lieben.

Auch sensibel und vielschichtig wird die Beziehung der Protagonistin zu ihrer Mutter dargestellt. Der Leser fühlt ihre tiefe Liebe darin, wie häufig sie sich auf ihre Mutter bezieht und wie glücklich ihre Kindheitserinnerungen sind. Doch in die Liebe drängt sich Verbitterung, weil ihre Mutter zulässt, dass die Misshandlungen weitergehen. Anstatt sich gegen ihren Mann zu wenden, vergibt sie ihm wiederholt und kehrt mit ihren Kindern stets zu ihm zurück Das führt zu Spannungen in ihrem Verhältnis: „Ich spüre eine Scham, die wie ein Splitter unter der Haut sitzt, und ich hasse es, dass ich mich schuldig fühle, weil ich ihr Schmerzen bereitet habe, wo sie meine doch so geflissentlich übersieht“ (S. 261).

Die emotionale Zerrissenheit der Protagonistin führt vor Augen, wie emotionaler und mentaler Missbrauch einem Menschen stärker zusetzen kann als physischer Schmerz. Die Geschichte zeigt aber auch, wie emotionaler Missbrauch und Gewalt alltäglich werden und als separate Welt existieren können. Die Autorin nutzt magischen Realismus, um den Surrealismus darzustellen, den sie aus eigener Erfahrung als bezeichnend für häusliche Gewalt kennengelernt hat.

Die Krähen helfen Leighton in Notsituationen und begleiten sie durch die Geschichte. In dem Maß, in dem sich die Lage zuspitzt, wächst die Krähenpopulation. Durch sie wird das unterschwellige Gesellschaftsproblem ein Stück sichtbar. Eine Kräheninvasion kann nicht übersehen werden. Leighton entwickelt eine emotionale Bindung zu den Krähen und beschäftigt sich für ihre Schulzeitungskolumne intensiv mit ihnen. Der englische Originaltitel „If these wings could fly“ verdeutlicht die Sehnsucht und Hilflosigkeit, die Leighton empfindet. Da das Buch sich stark auf das emotionale Innenleben der Protagonistin konzentriert, beschreibt dieser Titel das Buch passender als der deutsche Titel. Dieser spielt eher auf die äußere Spannung an, die allerdings erst an zweiter Stelle kommt.


Es handelt sich bei „You are not safe here“ um ein inhaltlich und formal prägnantes Buch. Ein Buch, dass Opfern sagt: Ich sehe dich, du bist nicht allein, das ist nicht das Ende deiner Geschichte. Ein Buch, das vom Überleben handelt. Ein Buch, das aus Erfahrung geboren wurde, um Hoffnung zu vermitteln. Passenderweise schließt es mit Informationen zu Hilfen und Anlaufstellen. Besonders für einen Debutroman ist es eine außergewöhnliche Leistung und macht das Buch zu einer absoluten Empfehlung, sowohl für die Privatlektüre als auch für den Unterricht

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von 167; Landesstelle: Nordrhein-Westfalen.
Veröffentlicht am 18.04.2020

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