Unsere Zukunft flirrt am Horizont

Autor*in
Popescu, Adriana
ISBN
978-3-570-31476-0
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
544
Verlag
cbj/cbt
Gattung
Erzählung/RomanTaschenbuch
Ort
München
Jahr
2023
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiFreizeitlektüreKlassenlektüre
Preis
13,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

In einer Seniorenresidenz treffen Simon, Marcin und Lia ungewollt aufeinander. Über die Gründe, warum die so gänzlich unterschiedlichen Siebzehnjährigen dort Sozialstunden ableisten müssen, will sich keiner von ihnen äußern. Doch schon bald kommen sie sich näher und stellen dabei fest, dass sie allesamt mit ähnlich belastenden Problemen zu kämpfen haben. Und dass sie sich als echte Freunde gegenseitig stützen können, egal, was für Herausforderungen das Leben für sie bereit hat.

Beurteilungstext

Adriana Popescu hat erneut einen berührenden Coming-of-Age-Roman vorgelegt. Diesmal mit drei siebzehnjährigen, vom Typus her sehr unterschiedlichen Protagonisten. Was sie anfangs einzig miteinander gemeinsam haben, ist die Ableistung von Sozialstunden in einer Seniorenresidenz. Ausführlich und detailliert beschreibt die Autorin die einzelnen Charaktere. Da ist die gut aussehende Lia. Vor Jahren ist ihr Vater ganz plötzlich verstorben, ein schlimmer Verlust, den sie bis heute nicht verwunden hat. Sorgen macht ihr die alkoholkranke Mutter, aber auch die jüngere Schwester Hannah, die sich gegen jede vermeintliche Bevormundung auflehnt. Seit Lia einen heftigen Autocrash verursacht hat, wird sie in der Schule gemobbt. Simon ist der immer Nette, der Schwarm aller Mitschülerinnen und eng mit Richard befreundet. Zu Hause wird er so gut wie gar nicht beachtet, egal, was er treibt. Ein blöder Streich, den er mit Richard begangen hat, hätte fast einen Menschen umgebracht. Simon leidet an heftigen Panikattacken, kann kaum etwas essen. Und hinterfragt zunehmend das Verhältnis zu Richard. Warum indes Marcin derart viele Sozialstunden ableistet, bleibt lange unbekannt. Dem obercoolen Typen traut man allerdings schon was ziemlich Heftiges zu.
Eigentlich scheinen die drei Jugendlichen so gar nicht zusammenzupassen. Aber aus den anfänglich kurzen Wortwechseln miteinander wird ihnen zunehmend bewusst, wie übel das Leben ihnen mitunter mitgespielt hat und wie verletzlich sie allesamt sind, sie aber nicht zugeben wollen oder dürfen, dass sie nicht alles allein mit sich abmachen können, sondern dringend Hilfe von außen benötigen. Aus der anfänglichen Abschottung wächst ganz langsam gegenseitiges Vertrauen und wahre Freundschaft. Schließlich sogar Liebe. Und damit auch endlich eine Chance, die eigenen Belastungen anzugehen.
Die beschriebenen Familienverhältnisse mögen krass anmuten, sind aber durchaus nicht realitätsfern. Das betrifft auch die daraus resultierenden psychischen Belastungen und Folgen, die sich in unterschiedlicher Intensität ergeben. Gefühlvoll und eindringlich hat die Autorin dies beschrieben. Man leidet geradezu mit den Betroffenen, die sich nicht auf die Geborgenheit einer intakten Familie oder der Gesellschaft Gleichaltriger verlassen können, sondern deutlich zu früh quasi als starke Erwachsene gefordert sind.
Mehrere besonders für Heranwachsende relevante Konfliktfelder werden im Roman explizit thematisiert. Sie werden als „Triggerhinweis“ am Schluss des Buches eigens aufgeführt. Die Autorin lässt an ihrer Einstellung dazu keinen Zweifel. Alkoholismus wird unmissverständlich als Krankheit bezeichnet, die ebenso wie massive Panik- oder Essstörungen in den allermeisten Fällen professioneller Hilfe bedarf. Elterliche Vernachlässigung, die wie im Fall von Simon oft von außen noch nicht einmal erkennbar ist, wird im Hinblick auf die fatalen Folgen für die Kinder heftig kritisiert. Und mit den starken Belastungen, die sich aus dem Verlust naher Angehöriger ergeben können, dürfen Betroffene ebenfalls nicht allein gelassen werden. Dies trifft gewiss in besonderem Maße auf Heranwachsende zu. Insofern ermutigt das Buch jugendliche Leser, die sich in ähnlichen Konfliktsituationen befinden, auch dazu, ihre Probleme mutig und nachdrücklich zu kommunizieren, um nicht daran zu zerbrechen. Popescu sieht die Eltern in der Pflicht, die eigenen Kinder nicht zu überfordern, sie aber auch nicht über die Maßen zu kontrollieren oder vor allem und jedem zu beschützen.
Viele junge Leserinnen und Leser der Zielgruppe ab etwa 14 Jahren können sich mit ihren familiären, schulischen oder gesellschaftlichen Problemen wohl zumindest teilweise im Roman wiederfinden. Von daher ist das wärmstens zu empfehlende Buch auch gut als Diskussionsgrundlage für die obere Mittelstufe und Oberstufe geeignet, zumal die zwar einfühlsame, aber nicht verharmlosende Beschreibung nicht küchenpsychologisch banal daherkommt mit platten Ratschlägen. Erwachsene Leser werden durch das Buch angeregt, die eigene Entwicklung im Rückblick zu bewerten und daraus gegebenenfalls auch Konsequenzen für das eigene Handeln gegenüber Jüngeren zu ziehen.
Für die subtile, in ihrer Aussage problemlos nachvollziehbare Herangehensweise der Autorin sei auf eine eigentlich ganz alltägliche Szene kurz vor Buchende hingewiesen, in der der Besuch eines Frühlingsfests mit Achterbahn, Schießbude, Geisterbahn, Irrgarten und Riesenrad gewissermaßen umgedeutet wird als Spiegelbild der adoleszenten Krise und deren Bewältigung. Dies geschieht nicht in Form einer übergestülpten Wahrheit, sondern erweist sich als hilfreiche Erkenntnis, die die drei Protagonisten erst durch den vertrauensvollen Umgang miteinander teilen können.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Gerd Klingeberg; Landesstelle: Rheinland-Pfalz.
Veröffentlicht am 12.04.2023

Weitere Rezensionen zu Büchern von Popescu, Adriana

Popescu, Adriana

Unsere Zukunft flirrt am Horizont

Weiterlesen
Popescu, Adriana

Wie ein Schatten im Sommer

Weiterlesen
Popescu, Adriana

Ein Lächeln sieht man auch im Dunkeln

Weiterlesen
Popescu, Adriana

Morgen irgendwo am Meer

Weiterlesen
Popescu, Adriana

Mein Sommer auf dem Mond

Weiterlesen
Popescu, Adriana

Ein Sommer und vier Tage

Weiterlesen