Und zwischen uns eine Mauer

Autor*in
Kolb, Suza
ISBN
978-3-95728-492-1
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
203
Verlag
Knesebeck
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
München
Jahr
2021
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
16,00 €
Bewertung
nicht empfehlenswert

Teaser

Luisa ist im Jahr 1983 13 Jahre alt und wenig begeistert, als sie ihre Sommerferien in der DDR verbringen soll, während ihre beste Freundin Nora Urlaub in Italien macht. Doch dann kommt alles ganz anders: Denn in Sachsen, im fiktiven Ort Posenau, verliebt sich Luisa Hals über Kopf in den subversiven und systemkritischen Uwe. Eine Beziehung zwischen Ost und West, die 1983 kaum eine Chance hatte. Suza Kolb tappt bei ihrem Bemühen, jugendlichen Leser*innen von der DDR zu erzählen, leider in die „Stereotypierungs-Falle“ und lässt kaum ein Klischee über das verschwundene Land aus...

Beurteilungstext

Seit der ‚Wende‘ beteiligt sich die deutsche Kinder- und Jugendliteratur am Erinnerungsdiskurs zur DDR und somit an der Pflege eines kulturellen, kommunikativen Gedächtnisses, das auch Kindern und Jugendlichen zugänglich gemacht werden soll, die die DDR nur aus Erzählungen und Geschichtsbüchern kennen. Die Adressat*innen selbst sind nach 1990 geboren und kennen das geteilte Deutschland nicht aus dem persönlichen Erleben, wenngleich die Spaltung in Ost und West bis in die Gegenwart präsent und virulent ist. Warum das so ist, wissen viele Jugendliche heute nicht mehr – die DDR ist ein verschwundenes Land. So kommt der erzählenden Kinder- und Jugendliteratur eine wichtige Aufgabe für die historische Bewusstseinsbildung zu. Gerade in jüngster Zeit sind viele Titel von ostdeutschen Autor*innen erschienen, die selbst noch in der DDR geboren sind und auf eigene Kindheitserinnerungen rekurrieren können, wenn sie in ihren Büchern den DDR-Alltag thematisieren: Beispiele sind Judith Burger und ihr Kinderroman „Gertrude grenzenlos“ sowie Dirk Kummer und „Alles nur aus Zuckersand“. Suza Kolb hingegen ist in Westdeutschland, genauer in Rheinhessen, geboren. Nach vielen Pferdebüchern und fantastischer Kinderliteratur nähert auch sie sich mit „Und zwischen uns eine Mauer“ (der Titel kann irreführen, sehr nah ist er am bereits 2006 erschienenen autobiographischen Roman „Zwischen uns die Mauer“ von Katja Hildebrandt, der 2019 unter demselben Titel als filmische Adaption in die Kinos kam) dem zeitgeschichtlichen Erzählen an und will jungen Leser*innen von der DDR berichten. Leider leistet sie mit ihrer Erzählung einer starken Klischeebildung Vorschub, die sich schon in der frühen Kinder- und Jugendliteratur zu Mauerfall und Wende aus den 1990er Jahren findet, indem sie in ihrer DDR-Darstellung zahlreichen Stereotypen verhaftet bleibt, das Land als grau und trist beschreibt (was es häufig sicher auch war) und die Stasi- Mitarbeiter*innen zu reinen Negativfiguren stilisiert, die „stechende Augen“ haben, die die westdeutsche Protagonistin Luisa „regelrecht durchbohren“ (S. 67).
Die Handlung ist schnell erzählt: Wie schon der Titel klarmacht, stützt diese sich auf das Romeo-und-Julia-Motiv der durch die Mauer verhinderten Liebe, welches viele jugendliterarische Texte nutzen (z.B. das schon erwähnte „Zwischen uns die Mauer“ von Katja Hildebrandt, „Der Klassenfeind und ich“ von Barbara Bollwahn). Die dreizehnjährige Luisa aus West-Berlin macht Urlaub bei Verwandten in der DDR und verliebt sich dort in den Nachbarsjungen Uwe. Schauplatz ist das fiktive Posenau – warum es ein fiktiver Ort ist, erschließt sich nicht. Uwe wiederum hat eine Zwillingsschwester namens Marietta, die streng der FDJ und dem Parteiregime verhaftet ist und gemeinsam mit ihren Freundinnen für die Stasi aktiv ist. So stehen sich zwei Figuren-Oppositionen gegenüber: Auf der einen Seite Luisa, Uwe und seine progressiven Freunde, die West-Musik hören, auf der anderen Marietta und ihre Freundinnen, die der SED und dem Staat treu ergeben sind. Salopp gesprochen: Aus dieser klischeehaften Anlage kann nichts werden. Besonders irritierend mutet der Umgang mit dem historischen Wirklichkeitsmaterial an. So suggeriert der Roman, Jugendliche in der DDR hätten kaum eine Möglichkeit gehabt, West-Musik zu hören: Luisa droht die Verhaftung, weil sie Udo Lindenberg singt. Autobiographisch konnotierte Romane wie „Tonspur“ von Olaf Hintze und Susanne Krones, „DJ Westradio“ von Sascha Lange und „1988- Wilde Jugend“ aber belegen eindrücklich, wie sich das Lebensgefühl der DDR-Jugend an den westlichen Popikonen der 1980er Jahre ausrichtete. Ebenso konstruiert und unglaubwürdig wirken die typographisch vom Fließtext abgehobenen sog. Informationen des Stasi-Mitarbeiters IM Zauberer, durch die den Leser*innen deutlich wird, dass Luisa unter Beobachtung der Behörden steht, weil sie sich in Uwe verliebt hat und Westlieder singt. Ebenso fragwürdig erscheint Uwes Fluchtversuch, der am Ende des Romans steht. Er versucht einfach, über den Grenzübergang Friedrichtstraße zu laufen, womit er freilich scheitert und von den Grenzsoldaten ergriffen wird. Dass jemand im Jahr 1983 einen so naiven Fluchtversuch startet, erscheint arg unglaubwürdig. Wegen Uwes Verhaftung ist der Mauerfall 1989 die einzige Hoffnungsperspektive für die Buchfiguren.
Um Kindern und Jugendlichen das Leben in der DDR zu vergegenwärtigen, gibt es eine Reihe von deutlich stärkeren Texten, die die historische Realität weniger verzerren und es nicht nötig haben, triviale Liebesgeschichten und eindimensionale Figuren durch eine graue DDR zu schicken. Nicht empfehlenswert.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von kku; Landesstelle: Rheinland-Pfalz.
Veröffentlicht am 29.10.2021

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