Milchgesicht

Autor*in
Duda, Christian
ISBN
978-3-407-75543-8
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
159
Verlag
Beltz & Gelberg
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
Weinheim
Jahr
2019
Lesealter
16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
13,95 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

„Er war unrettbar.“ In Dudas neuestem Werk beobachten wir Sepps hartes Leben als Außenseiter in der Steiermark von den 1950er Jahren bis zur unaufhaltsamen Katastrophe.

Beurteilungstext

Joseph, genannt Sepp, ist schon als Säugling ‚anders‘. Er leidet an einer Erkrankung seines Blutes, die auf einen zu engen Verwandtschaftsgrad der Eltern zurückzuführen ist. Sie schlägt sich in einer auffallend weißen Haut und wiederkehrenden krampfartigen Schüben nieder. Sepp solle regelmäßig Blut frischgeschlachteter Tiere trinken, um seine Krankheitszeichen zu lindern. Die Eltern bringen das pflegebedürftige Kind zu einer alleinstehenden „Tante“. Diese neue „Mama“ kümmert sich liebevoll und aufopfernd um Sepp. Die Leser*innen verfolgen das harte Aufwachsen des Jungen stets ganz nah an dessen Geschehnissen in kurz gehaltenen Kapiteln. Die Symptome der Krankheit sind das eine; das andere, schlimmere Übel ist das Verhalten der Dorfgemeinschaft. Sepp erfährt Beschimpfungen, Gerüchte, körperliche Gewalt und Ablehnung – seine seelische Pein lässt sich schmerzlich nachfühlen. Wie nebenbei erfahren die Leser*innen zusätzlich von dem rauen Leben der bäuerlichen Nachkriegszeit und den damit einhergehenden Grausamkeiten. Hierbei hält der Autor Christian Duda nichts von einem bewahrpädagogischen Vorgehen: Der scheinheilige Umgang mit behinderten Menschen, eine illegale Abtreibung, die Ausläufer von Euthanasie und Zwangssterilisation, Tierquälerei und Sodomie, ein Selbstmord und diverse Kraftausdrücke schlagen den Leser*innen um die Ohren.
Nicht nur inhaltlich, auch formal fordert Duda die Leser*innen heraus. Erzählerisch werden mittels Leerstellen bestimmte Handlungsverflechtungen nur angedeutet. Zudem wird die auktorial erzählte Binnenhandlung von Sepp durch die Geburt und die Beerdigung der geliebten Großmutter des Autors namens Cäcilia gerahmt. Duda fand nach ihrem Tod in einer Schublade Dokumente, die den Anlass für die Binnenerzählung gaben. Virtuos spielt Duda mit den Erzählzeiten: mit dem historischen Präsens für die Erzählung um Sepp sowie dem Präteritum für die Rahmenhandlung in einer Ich-Erzählung über die Oma und die Zeugnisse des „realen“ Sepp. So wird eindrucksvoll zwischen den „Fakten“ und den antizipierten Zusammenhängen der Geschehnisse um den Protogonisten sowie seinen Befindlichkeiten, aber auch den erinnerungsbasierten Assoziationen des Autors zu seiner zurückgelassenen Heimat changiert. Stilistisch bedient sich Duda einer ästhetischen bildhaften Sprache. Das Werk ist reich an kunstvollen Metaphern („Sepp ist die unterste Strebe einer sozialen Leiter“), Vergleichen („Tränen […] wie Perlen eines zerrissenen Colliers“) und bissigem Humor. Ferner werden Fremdwörter („doziert“) nicht vermieden. Auch die österreichische Mundart wird hier und da verwendet.
Obwohl – oder gerade weil – das Schicksal Sepps vorahnungsvoll schwer auf der Lektüre lastet und den Leser*innen einiges abverlangt, ist "Milchgesicht" eine äußerst bereichernde, aufrüttelnde und empathische Geschichte. Duda zeigt konsequent und daher schonungslos, was Exklusion für ein Individuum bedeutet, aber auch was die Härte bspw. eines erlebten Krieges mit einer Gesellschaft macht. Solche Themen können nicht weniger roh erzählt werden, ohne an Authentizität zu verlieren und müssen auch Jugendlichen in ihrer Deutlichkeit gezeigt werden. Das Buch ist somit mehr als lesenswert.
Stefanie Granzow

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Veröffentlicht am 07.03.2020

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