Luft zum Frühstück - Ein Mädchen hat Magersucht

Autor*in
Frey, Jana
ISBN
978-3-7855-5184-4
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
176
Verlag
Loewe
Gattung
Ort
Bindlach
Jahr
2005
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
9,90 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Die Außenwelt ist entsetzt: Serafina hungert - freiwillig, bis sie nur noch 40kg wiegt. Eine Leidensgeschichte eines Mädchens, die mit den gewöhnlichen Problemen Jugendlicher, die auf der Suche nach Identität sind, beginnt.

Beurteilungstext

Zwei Schwestern, beide Halbitalienerinnen, erleben ihr Aufwachsen in Italien und Deutschland ganz unterschiedlich: Während die eine in der neuen, deutschen Welt gut zurecht kommt, hat die andere starke Anpassungsschwierigkeiten und wünscht sich zurück in die italienische, warme Welt mit ihrer großen, lauten Großmutter und den vielen netten Menschen, für die sie etwas Besonderes ("kleiner, blonder Engel" ) war. Die innere Haltung verstärkt sich, als die Pubertät ihr ein Aussehen beschert, das gar nicht italienisch ist, sondern deutsch. Sie sieht im Spiegel das Äußere ihrer nicht gemochten, deutschen, blonden Großmutter, an der alles derb ist und die eine helle, rosafarbene Haut hat. Im Vergleich zu ihrer zierlichen, dunklen, italienisch aussehenden Schwester fühlt sie sich schwer, unbeholfen und zu dick. Die 64 Kilogramm zeigende Waage ist da eher von untergeordneter Wichtigkeit. Trotzdem beschließt sie abzunehmen.
Dies hat Auswirkungen auf ihr Verhalten anderen Menschen gegenüber: Die sowieso sehr zurückgezogen lebende Serafina wird noch vorsichtiger, lässt kaum mehr Menschen an sich heran. Ihre Gedanken kreisen nur noch ums Essen, bzw. Nichtessen. Ihr einziger Freund Daniel, ein kauziger, übergewichtiger Lebenskünstler mit vielen abstrusen Hobbies, hält zunächst trotz der Verhaltensänderung an Serafina fest.
Ihre Familie erlebt ihr Dünnerwerden mit, reagiert auch, fordert sie zum Essen auf - aber sie scheint keinerlei Eingriffsmöglichkeit zu haben. Eine heftige Krise schüttelt überdies die Ehe der Eltern: Der italienische Vater beginnt eine Affäre mit einer Italienerin, aus der dann auch noch ein Baby hervorgeht. Die Mutter verreist; als sie wieder kommt finden heftige Auseinandersetzungen statt. Doch beide wollen trotzdem an ihrer Ehe festhalten.
Für Serafina ist diese Krise eine weitere Bestätigung: Wäre die Mutter italienischer gewesen (das heißt bei Serafina: dünn, zierlich, anmutig), dann hätte der Vater nicht zu einer anderen Frau gehen müssen. Also setzt sie ihren Hungerkurs fort.
Als ihre Familie sie immer nachhaltiger zum Essen auffordert, beginnt sie mit dem Lügen: Essbares wird weggeworfen, Hunger geleugnet, geschmierte Brote entsorgt, Essenseinladungen werden abgesagt.
Sie bricht mit ihrem einzigen Freund Daniel, fühlt sich nun zu einem anderen Jungen hingezogen, der sich aber nicht für sie interessiert. Dies bestärkt sie erneut, ihre Körpergeißelung aufrecht zu halten, denn wenn sie noch dünner wäre, würde der junge Mann sie endlich bemerken. Also isst sie weiter nahezu nichts.
Als sie der 40 Kilogramm - Grenze näher kommt, wird sie mit einem Kreislaufzusammenbruch in eine Klinik eingeliefert, wo man ihr dringend zu einer Therapie rät. Sie flieht zunächst, kann aber schließlich von Daniel zur Rückkehr überredet werden. Der Erfolg der Therapie wird im anschließenden Epilog zwar nicht greifbar, aber der Leser kann auf ein gutes Ende hoffen.


Man liest ganz aufmerksam. Man hofft als Leser, die Stelle, den Augenblick zu finden, der als Impulsgeber für diese heimtückische Krankheit gelten könnte. Ist es die Unzufriedenheit in Deutschland, das Verhältnis zur Großmutter, der Vergleich mit der Schwester? Doch so sehr man sich auch bemüht: Es scheint alles nicht auszureichen, um eine solch lebensbedrohliche Krankheit zu bekommen. Letztlich bleibt in Serafinas Leidensgeschichte verborgen, warum sie gerade von der Krankheit Magersucht ereilt wurde. Und so sehr man auch Einzelheiten als Auslöser von Magersucht sucht, als eine Art Warnsignal, präventiv, um zu lernen, worauf man selbst als erziehender Mensch achten sollte, so sehr wird einem klar, dass das Heimtückische an Magersucht deren Bezeichnung als "Krankheit" ist. Krankheiten - das wissen wir nur allzu gut - können geschehen, da fehlt uns die Möglichkeit des Eingreifens um solch Schicksalsschläge zu verhindern.
Gerade dies ist es, was das Buch ausmacht. Die Ich-Erzählerin sieht sich selbst gefangen in etwas Schicksalhaften, in etwas, mit dem sie umzugehen lernt, was eine ganz eigene Realität schafft. Die Außenwelt scheint dagegen absolut hilflos mit ihrem Ansinnen: "Nun iss doch was!" Man spürt die Macht, die Serafina über ihren Körper hat, spürt, wie sie diese Macht genießt. Worte wie "ungesund", "nicht richtig", "du bist doch schön, wie du bist!" verhallen angesichts dieser Power, die sie sich selbst durch Nahrungsverweigerung bereiten kann.
Man ahnt, welch schwieriger Weg vor Magersüchtigen liegt, die sich auf eine Therapie eingelassen haben. Man spürt auch, wie schrecklich ohnmächtig sich nahe Angehörige und Freunde fühlen müssen, wenn ein Magersüchtiger sich von ihnen abwendet.
Diese ganzen Einsichten kann die Lektüre dieses Buches, das auf wahren Gegebenheiten beruht, vermitteln. Dies geschieht ohne den erhobenen Zeigefinger, ohne medizinische Details und ohne, dass die Leserschaft dies sofort merkt. Ein außergewöhnlich gutes Buch, das spannend und tief, unterhaltsam und bildend ist.

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Diese Rezension wurde verfasst von GM.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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