Kai zieht in den Krieg und kommt mit Opa zurück

Autor*in
Drvenkar, Zoran
ISBN
978-3-446-27594-2
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
160
Verlag
Hanser
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
München/Wien
Jahr
2023
Lesealter
12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiFreizeitlektüre
Preis
17,00 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Kai liebt seinen 100-jährigen Opa über alles. Für ihn ist er ein Held, ein Kamerad, ein allerbester Freund. Weil Opa zunehmend dement geworden ist, betrachtet sich Kai, der so viele Geschichten von Opa gehört hat, quasi als dessen "Gedächtnis". Aber vieles von dem, was Opa über den Krieg erzählt hatte, scheint in Wahrheit doch ganz anders passiert sein. Das wird beiden beim gemeinsamen Erinnern immer deutlicher. Aber diese ehrliche Aufarbeitung trübt keineswegs ihren ganz besonderen Zusammenhalt.

Beurteilungstext

Unterschiedlicher könnten die beiden Protagonisten aus Zoran Drvenkars neuem Jugendroman kaum sein. Da ist der hundertjährige Opa, der schon stark von Demenz betroffen ist, aber dies in seinen mitunter noch klaren Momenten nach Möglichkeit überspielen möchte. Tatsächlich befindet er sich in seinem Erleben zumeist noch immer im Kriegsgeschehen. Mit vierzehn Jahren hatte er sich dafür gemeldet, und jetzt, quasi in einer Zeitschleife befindlich, scheint der Krieg für ihn bereits 86 Jahre anzudauern. Seinem Enkel Kai hat er immer wieder von seinen Erlebnissen erzählt. Für den Elfjährigen ist der Opa ein Held. Aber auch jemand, der ihm so lieb und teuer ist, dass er ihn in seiner Demenz beschützen möchte, indem er ihn aus dem vermeintlich noch anhaltenden Krieg zurückholen will. Wann immer der Opa bei seinen Erinnerungen ins Stocken kommt, kann Kai ihm auf die Sprünge helfen. Umso mehr ist er dann überrascht, dass Opas große Heldentaten und Erlebnisse in Wahrheit gar nicht so heldenhaft abgelaufen sind. Opas Erklärung, er habe Kai nicht mit der Realität belasten wollen, zählt jetzt aber nicht mehr.
Und so wird die nacherlebte Reise in die Vergangenheit zu einer wenig angenehmen und ziemlich anstrengenden, aber letztlich auch für beide befreienden Aufarbeitung von bislang Verdrängtem.
In einfühlsamen, nicht selten poetischen Worten schildert Drvenkar die beiden Charaktere seines Romans. Dabei stehen zwei keineswegs einfache Themen im Vordergrund. So betrifft es den Umgang mit Demenz, sowohl von Seiten des unmittelbar Betroffenen (Opa), aber auch desjenigen, der als Angehöriger mit den wechselnden Phasen von Vergessenheit und geistiger Klarheit umgehen muss (Kai). Weiterhin geht es um die Zeit des Krieges, ein heftiges Trauma für Opa, das durch aufgehübschte Geschichten glorifiziert dargestellt wird, obwohl es eigentlich „die schlimmste Zeit war, die du dir vorstellen kannst.“ (S. 121), wie er nach und nach zugeben muss.
Deutlich wird dabei, dass der Versuch, die eigene Vergangenheit derart zu manipulieren, um sie wichtiger, positiver und heldenhafter erscheinen zu lassen, durchaus eine Art heilende und schützende Wirkung haben kann, dass dies aber nicht dauerhaft durchgehalten werden kann, weil es die psychischen Belastungsgrenzen irgendwann überschreitet. Kai zeigt sich hinsichtlich der Geständnisse des Opas ziemlich geschockt, aber es ist für ihn eine wichtige Phase des Erwachsenwerdens, dass sich die scheinbaren Wahrheiten, die man ihm als Kind erzählt hat, letztlich als Lügen erweisen (S. 138). Er akzeptiert die Erklärungen und Entschuldigungen des Opas, ganz einfach deshalb, weil er ihn so gern mag.
Eine Herausforderung vor allem auch für junge Leserinnen und Leser ist es, die changierenden Erlebnisebenen nachzuvollziehen. Nicht immer ist ohne Weiteres ersichtlich, was bei Kais und Opas Nacherleben der Kriegsereignisse nur äußerst plastisch erinnert wird, was (wie beispielsweise in der Eingangsszene mit dem gefesselten Kai) ansatzweise quasi nachinszeniert oder was einfach nur erzählt wird.
Nicht ganz realistisch wirkt Kais selbst gewählte Doppelfunktion als Opas „Gedächtnis“ und zugleich als eine Art Psychotherapeut, der durch rückführungs- und konfrontationstherapeutische Ansätze den eigenen Opa aus dem Krieg in die Gegenwart holen will. Damit dürfte ein 11-Jähriger wohl eher überfordert sein, zumal Eltern oder andere Erwachsene als Unterstützer oder Berater praktisch keine Rolle spielen.
Insofern bleibt die Einschätzung des Buches ambivalent: Ein zweifellos exzellent geschriebener Roman mit gehörig emotionaler Note, angedacht für junge Leserinnen und Leser ab etwa 12 Jahren, der aber mit seiner tiefschürfenden Herangehensweise an eine komplexe Problematik wohl manche/n aus dieser Zielgruppe überfordern dürfte.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Gerd Klingeberg; Landesstelle: Rheinland-Pfalz.
Veröffentlicht am 01.03.2023

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