Großvater auf Probe

Schlagwörter

• Familie
• Historisches

Teaser

Eines klingelt es und ein alter Mann steht vor der Tür und sagt, “hallo, ich bin Popsicle, dein Großvater.” Und Cessie findet das wunderbar - endlich einen Großvater! Weniger begeistert ist ihr Vater, der den Vater kaum gekannt hat. Vor lauter Schreck kippt der Großvater um und haut sich den Kopf an - und fortan weiß er nicht mehr, wo er her kommt - und schon gar nicht, wo er hin soll ...

Beurteilungstext

Was für ein toller Roman, der nun endlich - nach der gebundenen Ausgabe bei Dressler 1999 - als Taschenbuch vorliegt. Wer auf die Homepage des Schriftstellers geht, wird zu Recht dort die Liste der Auszeichnungen für sein Werk sehen. "Escape from Shangri-La" heißt das Buch im Original, und dort ist das Coverbild auch ganz anders, wenngleich beide das gleiche Motiv haben: Hier, bei dtv, lustig und fröhlich gezeichnet, dort, bei Egmont Books Ltd., in gedeckten Farben, romantischer, mit Vollmond und Möwe. Beide zeigen ein Schiff, darauf Cessie, die Hauptperson.
Es ist schwer, den Roman eindeutig einer Kategorie zuzuweisen. Er ist - wie alle Roman von Morpurgo - mit einer Leichtigkeit und Beschwingtheit erzählt, die so gar nicht zu den ernsten Themen zu passen scheinen: Vergangenheitsbewältigung, Kindheits- und Beziehungsprobleme, der Umgang mit alten Menschen, die Rechte der Alten auf ein menschenwürdiges Dasein, Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen, Auseinandersetzung mit den Gräueln des Zweiten Weltkriegs - das klingt verdammt nach einem problembeladenen Roman, durch den man sich pflichtgemäß quälen muss.
Weit gefehlt! Morpurgo versteht es, diese Themen einzubinden in eine spannende Handlung, die über weite Teile ausgesprochen amüsant zu lesen ist. Der Großvater hatte einen Schlaganfall und hat sein Gedächtnis verloren? Na und - deswegen ist es trotzdem oft komisch, was er tut und man darf drüber lachen - er selbst ja auch. Unbekümmert und vorurteilsfrei nähert sich Cessie dem unbekannten Mann an, liebt ihn gleich aus ganzem Herzen. Und er dankt es ihr. Mit ihr zusammen begibt er sich auf Spurensuche in die Vergangenheit, nimmt gleich einen Teil der Altenheimbevölkerung mit, die die Nase voll hat von der Kommandiererei, und bringt sie ordentlich mit seinem Boot in Gefahr, das Cessie ausfindig machte nach den stückhaften Erinnerungen, die sich wie Mosaiksteinchen im Gedächtnis des Opas (und des Lesers) zusammensetzen.
Und dann, als Morpurgo den Leser so richtig in seinem Bann hat und man nur noch wissen will, wie es weiter geht, wird er unaufdringlich, aber deutlich ernster. Der Großvater berichtet von seiner Jugendzeit, als er vor den Nazis von einer Familie versteckt wurde. Es bleibt unklar, ob die Frau, die seine große Liebe war und die er nicht mehr fand und findet, durch seinen Leichtsinn der Gestapo in die Hände fiel. Mit dieser Schuld muss er nun leben, der Großvater. Aber am Ende hat er eine neue Familie gefunden.
Keine Spur von Kitsch, Aufzeigen und Bewältigungsmöglichkeiten von sozialen Problemen unserer heutigen Zeit, witzige Passagen - das Buch hat alles, was intelligente Unterhaltung bieten sollte.