Die Geschwister Apraksin

Autor*in
Schneider, Karla
ISBN
978-3-446-20703-5
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
588
Verlag
Hanser
Gattung
Ort
München
Jahr
2006
Lesealter
12-13 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
19,90 €
Bewertung
eingeschränkt empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Russland kurz nach der Oktoberrevolution: Polly und ihre 4 Geschwister sind Waisen des Kaufmanns Apraksin, sie leben auf der Krim. Als sie auf verschiedene Familien verteilt werden sollen, beschließen sie sich nicht trennen zu lassen und fliehen nur mit dem Nötigsten ausgestattet Richtung Moskau. Eine lange abenteuerliche und gefährliche Reise durch das bürgerkriegsgeshcüttelte Russland beginnt...

Beurteilungstext


Um es gleich zu sagen: Den vielen lobenden Besprechung dieses Romans vermag ich mich nicht ganz anzuschließen.
Lobenswert und verdienstvoll ist die Wahl des Themas bzw. des historischen Ereignisses (Oktoberrevolution Russland und die frühen Jahre der Sowjetunion 1917-1920) für ein Jugendbuch, ebenso gelungen und eindrucksvoll ist die sehr detailreiche und stimmige Erzählweise und die einem solchen Roman gebührende Üppigkeit (fast 600 Seiten). Beeindruckend ist auch die in den Figuren, ihren Erlebnissen und den Ereignissen spürbare historische Recherchearbeit, die hinter einem solchen Werk stehen muss. Ebenso überzeugt die erzählerische Kraft, mit der die Autorin ihre Hauptfiguren, Polly und ihre beiden Brüder, dieses nicht einfache Leben in einer noch nicht wieder neu geordneten Gesellschaft meistern lässt. Diese Kinder reifen während der sprichwörtlich unfreiwilligen Reise heran, sie werden zwangsweise erwachsen und verlieren zwar ihre bürgerliche Überheblichkeit, aber nicht ihre Menschlichkeit und Moral, trotz der ständigen Begegnung mit Hunger, Kälte und Bedrohung.
Gespannt und neugierig begann ich mit der Lektüre des Romans. Gut gerüstet und eingestimmt durch Zeittafel und Karten begab ich mich mit den fünf Kindern der Familie Apraksin auf diese Reise quer durch Russland. Klar war mir von Anfang an, dass für diese Kinder und ihre Familien die Revolution, die ein neues Zeitalter einläuten sollte und eine ganze Gesellschaft (und das Jahrhundert!) neu strukturierte, keine Chance sondern eine existenzielle Bedrohung darstellte.
Nach dem Verlust der Eltern sind sie auf sich gestellt, wollen zusammenbleiben und machen sich auf den Weg Die Jüngste, Dillotschka, stirbt recht bald an Typhus in einem Krankenhaus - was ergreifend und bewegend geschildert wird. Bald verschwindet auch die Älteste, Klascha, mit einem Liebhaber. So müssen sich nun Polly und ihre beiden Brüder Fedja und Ossja allein durchschlagen. Auf der langen Reise begegnen sie den unterschiedlichsten Menschen, skurrilen Typen, seltsamen Vertretern der alten oder der neuen Machthaber, gierigen Händlern, verschlagene Inspektoren, aber auch einigen wenigen warmherzigen Träumerinnen.
Nach einer Zeit begannen mich die im Grund immer gleichen Szenen der Demütigung, der Armut, der Not etwas zu ermüden, aber das ist es nicht, was mich im wesentlichen stört. Sondern die deutliche Negativzeichnung der Vertreter der neuen Macht, der Bolschewiki. Kein einziger sympathischer "Roter" ist mir in diesem Buch begegnet. Immer sind sie dumm, arrogant, unverschämt, dreckig oder zumindest hinterlistig und nachlässig in ihrer Pflichtausübung. Manchmal auch brutal und rücksichtslos, was allerdings bei den meisten in diesem Buch vorkommenden Erwachsenen der Fall ist.
Aus der historischen Distanz von fast 100 Jahren und nach der Auflösung der Sowjetunion und der Zerschlagung fast aller realen Versuche, eine gerechtere Gesellschaft sozialistischer Prägung aufzubauen, hätte ein etwas objektiveres Bild dieser Zeit und ihrer Protagonisten niemand geschadet. Gerade das Jugendbuch bietet die Chance, politische und gesellschaftliche Anstöße zu geben und soziale Fragen in der Fiktionalität von Schicksalen zu diskutieren. So wird diese Zeit zwar lebendig, allerdings eher als "ein Panoptikum einer aus den Fugen geratenen Gesellschaft" (1001 Buch, Mai 2006, S. 51) denn als Einblick in die reale tiefgreifende Umwälzung dieser Revolution, die eine Chance für eine gerechtere, sozialere Gesellschaft zumindest in der Perspektive und dem Wollen der Akteure enthielt. Schade!

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von ASR.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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