Der Sommer als ich Filmstar war

Autor*in
Schneider, Karla
ISBN
978-3-423-62447-3
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in / Sprecher*in
Umfang
364  Minuten
Verlag
dtv
Gattung
Digitale MedienErzählung/Roman
Ort
München
Jahr
2010
Alters­empfehlung
12-13 Jahre14-15 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
8,95 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Dass die dreizehnjährige Wilhelmina zu Minette und einer Filmschauspielerin mit Drehtagen in Norwegen wird, ist so unglaublich wie der Auslöser dieser Entwicklung: Ihr geliebter Stiefvater hat die Wohnung der Familie verzockt. Bevor die Familie wieder zusammen kommen kann, lernt Wilhelmina viel über sich, das Filmemachen und die komplizierten Beziehungen der Menschen um sie.

Beurteilungstext

Es ist unglaublich, mit welcher Genauigkeit und Fantasie diese Autorin immer wieder ihre Figuren und Geschchten gestaltet! Mal sind es Kinder der russischen Revolution (“Die Geschwister Apraksin”, 2006), mal eine italienischer Page am sächsischen Hof (Marcolini - oder Wie man ein Günstling wird”,2007), zwei Kinder in einer bedrohlichen Welt zwischen Krankenhaus, Tod und Rotkäppchen-Motiven (“Wenn ich das siebte Geißlein wär”, 2009). Jedes Mal entfaltet sie ein ganzes Panorama, eine Lebens- und Lesewelt, aus der man nur ungern wieder auftaucht.
In diesem Band lässt Karla Schneider uns an einer abenteurlichen Geschichte aus den 50er Jahren aus der Perspektive einer Drezehnjährigen teilnehmen. Dabei beginnt die Geschichte ausgesprochen realistisch auf der Heimfahrt von einer Klassenfahrt, der Koffer ist zu schwer, Willi wird nicht abgeholt und dann landet sie in einem wahren Albtraum. Die Wohnung der Familie mit allen Dingen, die ihr so vertraut sind, ist von einer anderen Familie besetzt. Allein dieser Teil schon ist so beschrieben, dass jede Leserin mit Grausen mitfühlen muss, wie es ist, wenn die eigene Filmpostersammlung im Müll gelandet ist, das Einschlafkissen von einem verrotzten Dreijährigen benutzt und die Lieblingsplatten nicht mehr zu finden sind. Ihre Mutter ist bei der sterbenden Großmutter, der Stiefvater verschwunden, als Notlösung wird Willi bei ihrem biologischen Vater einquartiert, den sie nie kennen gelernt hat und der sich als egozentrischer Theaterregisseur entpuppt, der seine plötzlich aufgetauchte Tochter eher als interessantes Objekt, denn als ernstzunehmende Person betrachtet.
Über diesen Zwischenschritt gelangt Wilhelmina, von ihrem Vater umbenannt zu Minette, zu ihrer Rolle in einer Verfilmung von dem Hamsun-Roman “Pan” in Norwegen. Auch das klingt völlig unrealistisch, aber in der Fiktion Schneiders wird dies sehr realistisch, bis in die deutsch-norwegischen Sprachschnipsel, die sich Wilhelmina-Minette nach und nach aneignet oder die von norwegischen Komparsen verwendet werden.
Realistisch wirkt auch, mit welchen Schwierigkeiten das Mädchen zu kämpfen hat, vor allem weil sie viel zu wenig weiß über die technischen Abläufe, die Inhalte, die Hierarchien beim Dreh, die Empfindlichkeiten der Beteiligten. Aber das lernt die Leserin alles mit ihr und aus ihrer Sicht, Schritt für Schritt, manchmal begleitet und umsorgt, oft ganz auf sich gestellt. Zehn der 26 Kapitel drehen sich um diesen Dreh in Norwegen und sie allein schon würden ein spannendes Buch ergeben. Aber Karla Schneider packt noch mehr hinein, denn Wilhelmina-Minette landet in den Fängen einer Filmagentin in München, bis sie sich selber zur Flucht entscheidet, die zum guten Ende führt.
Das alles liest sich trotz der 364 Seiten wunderbar leicht weg, die Gedankengänge der Dreizehnjährigen ebenso wie die Dialoge. Dabei legt die Autorin immer wieder Sackgassen an, falsche Motive (wie etwa den älteren Stiefbruder, der nach enttäuschend kurzer Zeit aus der Geschichte und Wilhelminas Leben verschwindet) oder greift geschickt Vorheriges wieder auf, auch um Willis Entwicklung überzeugend darzustellen.
Nicht alle Figuren wirken ganz so überzeugend. So erscheint es unglaubwürdig, dass die Mutter trotz ihrer Belastung und der immer wieder als intensiv geschilderten Beziehung zur Tochter so lange wartet, bis ihr das Ausbleiben von Nachrichten unheimlich wird. Auch die Spielsucht des Stiefvaters wird, obwohl sie der Auslöser für die Existenzgefährung der ganzen Familie ist, nur in dieser Relation genannt.
Was bleibt, ist das Lesevergnügen, die Möglichkeit zur Identifikation mit der Dreizehnjährigen und ihrem unglaublichen Abenteuer im Rahmen einer Filmwelt, die für viele in den 50er Jahren die reine Traumwelt war - und vielleicht noch für viele heute ist.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von uwo.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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