Der geheimnisvolle Koffer von Herrn Benjamin

Autor*in
Chang, Pei-Yu
ISBN
978-3-314-10382-7
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Chang, Pei-Yu
Seitenanzahl
48
Verlag
Nord-Süd
Gattung
BilderbuchBuch (gebunden)Sachliteratur
Ort
Gossau
Jahr
2017
Lesealter
4-5 Jahre6-7 Jahre8-9 Jahre10-11 Jahre12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
18,00 €
Bewertung
empfehlenswert

Teaser

Ein Philosoph muss aus seinem Heimatland fliehen, weil er den Machthabern gefährlich geworden ist. Dabei führt er einen sehr großen, aufsehenerregenden Koffer mit sich. Die Flucht scheitert, der Mann verschwindet und mit ihm sein »geheimnisvoller« Koffer... Nach einer wahren Geschichte über Walter Benjamin.

Beurteilungstext

Herr Benjamin ist ein außergewöhnlich kluger Mann und gehört zu den größten Philosophen seines Landes. Nun wird er aber von den Machthabern gesucht und verfolgt, denn sie fürchten, dass seine Ideen ihrer Herrschaft schaden könnten. Zusammen mit einer Gruppe von Verfolgten des Regimes begibt er sich auf die Flucht. Dabei werden diese von der mutigen Frau Fittko unterstützt, die Herrn Benjamin seine Marotten nachsieht (seine extravagante Kleidung und sein großer Koffer, beide eher ungeeignet für die beschwerliche und gefährliche Reise zur Grenze), denn sie vermutet gute Gründe für sein Verhalten. Er ist immerhin der klügste Mensch, dem sie je begegnet ist. Doch der versuchte Grenzübertritt scheitert, Herr Benjamin muss umkehren und verschwindet schließlich, wie auch sein Koffer. Die Menschen beginnen nun, über dessen Inhalt zu spekulieren. Was war so wichtiges darin, dass Herr Benjamin hierfür sogar das Scheitern seiner Flucht riskierte?
In »Der geheimnisvolle Koffer von Herrn Benjamin« erzählt die Illustratorin und Bilderbuchautorin Pei-Yu Chang nicht einfach eine Geschichte über einen Mann und seine Tasche. Inhaltlich knüpft das Buch an eine wahre Begebenheit an: die Flucht des marxistischen Intellektuellen Walter Benjamin zunächst aus Nazideutschland und später aus dem von der Wehrmacht besetzten Frankreich. Benjamin, der gerade an seiner geschichtsphilosophischen Schrift »Über den Begriff der Geschichte« arbeitete, hatte damals tatsächlich einen äußerst großen Koffer dabei – vermutlich um damit seine Manuskripte zu transportieren. Für seine misslungene Flucht und den darauffolgenden Tod an der französisch-spanischen Grenze war dieser aber eher nicht verantwortlich.
Nicht nur darin entfernt sich Changs Bildergeschichte weit von der historischen Vorlage. Auch weil die Gründe für Benjamins Verfolgung andere waren, als es im Buch anklingt: So war es weniger sein politisches Engagement als vielmehr seine jüdische Identität, die ihm die gnadenlose Verfolgung durch die Nationalsozialisten bescherte. Bei genauerer Betrachtung des Titels (und dessen grafischer Umsetzung auf der vorderen Umschlagseite) wird jedoch deutlich, dass es hier eigentlich vielmehr um den Koffer und weniger seinen Träger geht. Löst man sich also etwas von der hochfliegenden Erwartung, hier eine kindgerechte und zugleich historisch authentische Erzählung über die Person Walter Benjamin serviert zu bekommen, hat die zweifellos wunderbar illustrierte Geschichte durchaus ihren Reiz.
Wenn man von seiner ursprünglichen Funktion als nicht ganz unwichtiges Reiseutensil eines Flüchtenden absieht und den Koffer als literarisches Symbol betrachtet, ergibt sich eine andere, sehr interessante Lesart. Indem nämlich die Menschen nach dem Verschwinden Benjamins und seines Koffers die wildesten Spekulationen über den Inhalt des Letzteren anstellen, zeigt sich eine von diesem ausgehende magische Anziehungskraft. Der Koffer gerät zu einem Zeichen. Und weil nichts (genaueres) über dessen Inhalt gesagt werden kann, kann er als Zeichen auch nichts (objektiv) bedeuten. Doch gerade wegen seiner (Inhalts)Leere eignet sich der Koffer als Projektionsfläche für die Hoffnungen, Wünsche aber auch Befürchtungen und Ängste der Zeitgenossen Walter Benjamins. Etwas ähnliches kann man auch über die Schriften des Philosophen sagen, die etwas zu erratisch und hermetisch geraten sind. Bis heute hat sie wohl kaum jemand richtig verstanden, aber sehr viele haben etwas dazu zu sagen. Denn Benjamins Ausführungen zur Geschichte, Ästhetik, Politik etc. haben etwas Faszinierendes und Geheimnisvolles. Vielleicht taugt der Koffer diesbezüglich ja als Sinnbild für diese unausgereiften und unverstandenen Vorstellungen und Ideen, die darauf warten, endlich »ausgepackt«, d.h. verstanden und im besten Falle richtig angewandt, zu werden. Das wäre eine sehr schöne Pointe, wenn sie nicht so akademisch daherkäme und v.a. den kindlichen Lesern angemessen wäre. Aber als Reflexion über Flucht und Migration bietet es zu wenig (Hintergründe, Motivation zu Flucht bzw. Fluchthilfe) und als Geschichte über eine historische Persönlichkeit ist es zu ungenau (siehe oben).

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von mz; Landesstelle: Sachsen-Anhalt.
Veröffentlicht am 02.04.2017

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