Zwei Tage, zwei Nächte und die Wahrheit über Seifenblasen

Autor*in
Mohr, Angela
ISBN
978-3-401-60122-9
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
312
Verlag
Arena
Gattung
Erzählung/RomanTaschenbuch
Ort
Würzburg
Jahr
2016
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
12,99 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Nik flieht vor seinen Verfolgern, drei Gruppierungen, denen er etwas entwendet hat. Aino ist auf dem Weg ins Kloster, um dort ihrem Schweigen einen adäquaten Rahmen zu geben – auch sie flieht, hat Schuld auf sich geladen. Im Zug treffen beide zusammen und klinken sich gemeinsam aus.

Beurteilungstext

Die Geschichte wird abwechselnd aus der Ich-Perspektive von Nik(-ita) und Aino erzählt. Nik ist 16,5 Jahre alt, lebt in Mannheim, bezeichnet sich als Klassenclown und hat bereits eine Menge auf dem Kerbholz. Die Familienverhältnisse sind deutlich in Schieflage, die Mutter, so Niks Darstellung, regiert die Familie vom Sofa aus, der Vater hat zuhause nichts zu melden, sein um 13 Jahre älterer Bruder Oleg betreibt eine Autowerkstatt und ist Mitglied einer Motorradgang. Mit Oleg verbindet Nik ein Geheimnis, das er erst am Ende des Buches preisgibt. Auf der Flucht vor einem Verfolger stürzt Nik in den nächstbesten Zug, wie sich herausstellt, mit Ziel Osterburken, einem kleinen Ort im Neckartal. Überlebenscoach ist sein imaginärer ‚Captain‘, der für ihn am „Schaltpult“ sitzt und die notwendigen Knöpfe bedient, um Gefahren außen vor zu lassen, oder auf rote und grüne Signallämpchen achtet. Schon im ersten Kapitel ahnt der Leser, dass Nik im Laufe seines jungen Lebens einige negative Erfahrungen gemacht hat, wenn er auf einen solchen internen Personenschutz zurückgreifen muss.
Aino, die nicht spricht und nur per Blocknotizen mit ihrer Umwelt kommuniziert, ist 18 Jahre alt und wohnt ebenfalls in Mannheim. Ihre Mutter starb, als Aino 10 Jahre alt war, der Vater hat wieder geheiratet, der neuen Ehe entstammt Ainos jüngerer Bruder Jonas, den sie in ihren Gedanken als ‚Lieblingsbruder‘ bezeichnet. Aino begründet für sich ihr Schweigen mit der einfachen Erklärung, dass nur die Menschen etwas sagen sollten, die etwas Schönes erzählen könnten – zu dieser Gruppe gehöre sie nicht, daher will sie für immer schweigen und sich einem französischen Schweigekloster anschließen. Trotz ihrer geplanten und teilweise bereits vollzogenen Abkehr von den Mitmenschen ist es Aino, die Nik vor dem Fahrkartenkontrolleur rettet und sich damit nicht nur dessen Aufmerksamkeit, sondern auch seine Dankbarkeit sichert. Gleichzeitig fasziniert das dunkelhaarige Mädchen den Jungen, der es nicht akzeptie-ren kann, dass Aino in einem so jugendlichen Alter der ‚Welt‘ den Rücken zukehrt und sich in einem Kloster der Menschheit und deren Freuden entzieht. Seine unverfälschte Neugier, sein jugendlicher Tatendrang amüsieren Aino, gleichzeitig fühlt sie sich wertgeschätzt, weil er völlig unvoreingenommen auf ihr Stottern reagiert. Aus einem emotionalen Impuls heraus geht sie auf Niks Vorschlag ein, ihren Ausstieg aus der menschlichen Gesellschaft um 48 Stunden zu verschieben und sich darauf einzulassen, dass Nik ihr die Schönheiten des Lebens näherbringt. Doch dem fällt auf die Schnelle kein rationales Planen ein, und er stolpert deshalb in frühere Verhaltensmuster, die alle Klischees bedienen: Diebstahl, Hauseinbruch, Sexshop. Während er in Spannungsphasen verbal und körperlich agil wird, registriert Aino das Aufgeregtsein des kindlichen Nik mit einem fast mütterlichen Lächeln oder klinkt sich aus, indem sie sich auf die zweite Handlungsebene der Geschichte begibt, den Kampf einer namenlosen Altaikriegerin mit einem Dämon. Wie ein roter Faden durchzieht beide Geschichten die Phobie der Protagonistin vor Wasser, die erst am Ende des Buches erklärt wird. Während der folgenden zwei Tage kommen sich Aino und Nik näher, gewinnt Liebe ihren Raum, gleichzeitig gibt es immer wieder Rückschläge, weil Aino spontan davonläuft, genau in den Momenten, in denen Nik an seinem Vorgehen zweifelt und sich vor Konsequenzen fürchtet. Beide spüren, dass trotz der wachsenden Verbundenheit eine Mauer der Lügen und Geheimnisse zwischen ihnen steht.
Aufgrund der von der Autorin gewählten Doppelperspektive werden dem Leser nicht nur zwei Identifikationsmöglichkeiten angeboten, sondern er erhält auch Einblick in die Reaktionsmuster beider Protagonisten. Zwei gescheiterte Existenzen, so der erste Eindruck, treffen per Zufall aufeinander und nutzen die Frist bis zum gesellschaftlichen Exitus, um wenigstens einige Brosamen vom ‚Partyleben der Jugendlichen‘ zu naschen. Doch hinter dieser Fassade verbirgt sich der Prozess einer Katharsis beider Protagonisten, die erst am Ende zum Tragen kommt. Zwei junge Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, finden einen Weg, aus ihren festgestampften Pfaden auszubrechen und ihre Wünsche wahr werden zu lassen.
Auch wenn die Sprache an manchen Stellen ein wenig derb erscheint, spiegelt sie doch in gelungener Weise die beiden verletzten jugendlichen Seelen wider. Daher finde ich das Buch sehr empfehlenswert, auch als Klassenlektüre, denn es bietet viele Ansatzpunkte für beide Geschlechter und neue Aspekte, wie z.B. die Tatsache, dass Nik als der Agilere knapp zwei Jahre jünger ist als Aino und diese durch seine Liebe aus dem Elfenbeinturm des Schweigens herausholt.

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Veröffentlicht am 23.04.2017

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