Wolf

Autor*in
Stanišić, Saša
ISBN
978-3-551-65204-1
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Kehn, Regina
Seitenanzahl
189
Verlag
Carlsen
Gattung
Buch (gebunden)Erzählung/Roman
Ort
Hamburg
Jahr
2023
Lesealter
10-11 Jahre12-13 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
BüchereiFreizeitlektüreKlassenlektüre
Preis
14,00 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Ein Junge, der Ich-Erzähler, muss ins Ferienlager: Eine Woche Wald, Natur, unter Gleichaltrigen, mit denen er nichts anfangen kann. Aber seine alleinerziehende Mutter kann die erste Ferienwoche nicht anders organisieren. So findet er sich wieder zwischen Bäumen und Betreuern und muss nicht nur mit der Natur zurechtkommen, sondern auch mit den meisten aus seiner Klasse, unter denen er einer der beiden Außenseiter ist.

Beurteilungstext

Im Bus bereits trifft der Junge auf die drei Mitschüler Marko und „die Dreschkes“, die den anderen Außenseiter, Jörg, immer im Fokus haben, und auf eben diesen Jörg. Jörg wirkt in seiner Außenseiterrolle gefestigter und entschiedener als der Ich-Erzähler. Der Ich-Erzähler, bis zur letzten Seite namenlos, trifft aber auch auf Benisha, ein Mädchen, das ihm nicht ganz so egal zu sein scheint wie die anderen Mitschüler*innen. Im Wald macht er den Betreuer*innen gegenüber deutlich, dass er keinerlei Interesse an den abenteuerlichen Aktivitäten oder an den Spielen hat. Er verweigert sich, wo und wann es geht. Jörg hingegen macht alle Aktivitäten mit und zeigt, dass er viel Erfahrung im Wandern und mit der Natur hat. Jörg und der Ich-Erzähler sind gemeinsam in einer der Hütten untergebracht, und so erfahren sowohl der Ich-Erzähler als auch die Leser*innen mehr über diesen Jungen, der viel zu erdulden hat durch Marko und seine beiden Freunde.
Die meisten Kinder haben Spaß, entdecken interessante Dinge, probieren Neues aus. Nur der Ich-Erzähler scheint gefangen zum einen in seiner Verweigerungshaltung und zum anderen in seiner Mutlosigkeit, in der er seine Mitläufer-Haltung nicht aufgeben mag. Sehr, sehr vorsichtig probiert er die eine oder andere Aktivität, bleibt aber doch zurückhaltend. Und ebenso vorsichtig probiert er hin und wieder, Jörg zu unterstützen und auch den Betreuer*innen gegenüber Hinweise darauf zu geben, dass dieser einiges zu erdulden hat. Unterstützung erhält er durch einen imaginierten Wolf, der wohl seine Kraft und auch seine Wut symbolisieren soll, und auch durch einen imaginierten Hirsch, der als Figur einen Zugang zur Natur, aber komisch gebrochen, ermöglicht. Den Wolf sieht erstaunlicherweise auch Jörg, unabhängig vom Ich-Erzähler und bevor die beiden Jungen über diese Erscheinung sprechen.
Dem Ich-Erzähler wird im Laufe der Woche deutlich, dass er nur nicht dauerhaft im Fokus von Marko ist, weil Jörg zurzeit mehr Angriffsfläche bietet. Aber ihm wird auch deutlich, dass er in seiner Außenseiterrolle einsam ist, etwas, was er sich im Alltag zu Hause nicht eingestehen kann oder muss. So sagt einer der beiden „Dreschkes“, die er meist als tumbe Gefolgsleute von Marko wahrnimmt, einmal zu ihm: „Hättest du Freunde, würden die auch mal für dich was tun.“ „Das sitzt. Etwas für jemanden tun“, denkt unser Ich-Erzähler und beobachtet, wie alle anderen etwas tun, für sich, für andere, vor allem aber miteinander: Basteln, spielen, lachen … nur er steht herum und denkt: „Ich stehe hier herum.“
Diese Erkenntnisse hat der Junge zum Ende der Woche hin. Aber bereits zu Anfang, als er den Betreuer*innen gegenüber klarstellt, dass er keinerlei Lust an den Aktivitäten hat, dass er unfreiwillig da ist, sagt Marko: „Ey, ignoriert den bitte!“ Auch wenn Marko ärgert, auch wenn er fiese Ideen hat, wenn es um Spiele geht, macht er damit deutlich, dass der Ich-Erzähler nicht berücksichtigt werden muss, weil er sich sowieso aus allem heraushält und nichts mitmacht.
Das Buch hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Der Autor erzählt gewohnt lebendig und intensiv. Gesagtes und Nicht-Gesagtes ergänzen sich, und die Entwicklung des Ich-Erzählers ist nachvollziehbar und plausibel, weil sie nicht in eine große Persönlichkeitsänderung mündet, sondern in eine kleine Andeutung einer möglichen Veränderung. Diese ist symbolisiert dadurch, dass er erst im letzten Satz des Buches seinen Namen verrät: Kemi. Damit gibt er, jetzt endlich, etwas von sich preis. Er wird vom sich immer verweigernden, sich zurücknehmenden Mitläufer, der unauffällig in einer Ecke bleibt und abgeklärt alles, was die anderen tun, ablehnt, zu einem Mitmenschen, der Interessen und Haltungen zeigen kann. Den Satz seiner späten Vorstellungen „Ich heiße Kemi, übrigens“ hat er von einer beeindruckenden Försterin, die ihren leidenschaftlichen Vortrag über die Notwendigkeit des Schutzes von Wäldern mit dem Satz schloss „Ich heiße Beate, übrigens.“
Doch nicht so überzeugend sind die symbolträchtigen Tiere, der Wolf und der Hirsch. Sie bleiben Fremdkörper in der Erzählung, sind gleichzeitig stereotyp. Überzeugender als Symbol für etwas, was zwischen ihnen entsteht und was ihnen beiden eine neue Möglichkeit zeigen kann, ist der Schmetterling (Gelbwürfeliger Dickkopffalter), den Jörg für Kemi sucht und findet und der einen schwierig auszusprechenden Dank zum Ausdruck bringt.
Auch die Harmonie zwischen Kemi und seiner Mutter, der die ebenso große Harmonie zwischen Jörg und seinem alleinerziehenden Vater gegenübergestellt wird, erscheint etwas überzogen und aufgesetzt.
Die gelb-schwarzen Illustrationen von Regina Kehn sind großartig. Meist sind es Vignetten, aber auch ganzseitige Illustrationen, die mit sparsamen Mitteln Personen und Situationen in ihrer Tragikomik lebendig werden lassen.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Gudrun Stenzel; Landesstelle: Hamburg.
Veröffentlicht am 07.10.2023

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