Unsichtbar in der großen Stadt

Autor*in
Smith, Sydney
ISBN
978-3-8489-0176-0
Übersetzer*in
Ott, Bernadette
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Smith, Sydney
Seitenanzahl
40
Verlag
Aladin
Gattung
BilderbuchBuch (gebunden)Sachliteratur
Ort
Stuttgart
Jahr
2020
Lesealter
6-7 Jahre8-9 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
18,00 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Ein Einblick in kindliche Perspektiven auf Verlust und Trost, der tief bewegt.

Beurteilungstext

Nichts ist so, wie es scheint.

Wenn ein Bilderbuch Erwachsene und Kinder unterschiedlich berührt, wenn es grundlegende Aspekte des Seins mehrperspektivisch erzählt, wenn es über die Altersgrenzen hinweg still verharrende Spannung auslöst und verschiedene Lesarten bereithält, dann hat ein Buch das Potenzial zu einem Klassiker. Eine solche Einschätzung ist selbstverständlich ein großes Wort, einigen wir uns darauf, dass ein solches Buch potenziell ein Eintauchen in die Faszination der Literatur auf vielerlei Art ermöglicht – weil sie dieselbe mit dem Leben vielerlei verknüpft.
Diese Faszination bietet „Unsichtbar in der großen Stadt“ sowohl auf textueller als auch auf illustrativer Ebene. Beginnen wir mit der Geschichte des Textes. Da weiß jemand, wie es ist, sich in der Stadt zurechtzufinden, wenn man klein und schutzlos ist, welche Gassen, Ecken und Plätze man aufsuchen muss, um Schutz, Wärme oder Schönheit zu finden. Aber wer ist die schutzlose Figur, an welche die Rede gerichtet ist? Wer gibt hier wem Tipps zum Überleben im Raum, in dem ein einzelnes Wesen sich verlieren kann? Ein auktorialer Erzähler der Kinderfigur auf den beigefügten Illustrationen? Die Figur einer unsichtbaren Anderen oder einem expliziten Leser? Ein Tier dem Kind? Erwartet uns hier die Geschichte eines Straßenkindes? Oder eine Replik eines Erwachsenen auf seine Kindheit als narrativer Circle of life?
Diese unsichere Adresse bedingt einen hohen Spannungsgehalt, der nicht nur während des Lesens anhält. Immer wieder muss man zurückblättern, wenn das Buch schon geschlossen wurde. Warum habe ich das bloß gedacht? Wie bin ich darauf gekommen, dass das damit gemeint sei und nicht etwas Anderes? Greifbarer habe ich Spinners Aspekt des literarischen Lernens von der Unabschließbarkeit des literarischen Prozesses selten erlebt. Denn sobald das Buch zugeklappt ist, drängt es danach, im erneuten Lesen zu überprüfen, wie sich die Geschichte mit dem Wissen vom anderen Ende liest – oder dem Wissen eines möglichen anderen Adressaten, oder…
Die Illustrationen unterstreichen diese Unsicherheit und Unabschließbarkeit. Starke Pinselstriche, überdimensional dicke dunkle Rahmen evozieren eine gedrückte Stimmung, die besonders durch die Eröffnung entsteht, in der ein Schatten eines Kindes hinter eine Fensterscheibe ohne Text die Erzählung aufmacht. Ein Schatten, der erst langsam ein Gesicht erhält, das weiterhin nur schematisch und unter dicken Winterjacken verborgen bleibt. Ein Jedermann-Kind, ein austauschbares Kind, ein Kind, das alle und niemand sein kann. Es erhält keine eigenen Züge, bleibt also namenlos, gesichtslos und „unsichtbar“ in den Straßen und Menschenmengen, durch die es geht. Schneebedeckte winterliche Szenarien, deren Pinselstriche an Charles Schulz erinnern – dem westlichen Prototyp des Erzählens aus Kinderperspektive – verstärken das Gefühl der Kälte, die das gesichtslose Jedermann-Kind umgibt. Und so bleibt das Laufen, das schutzlose Dasein in der Stadt ungesehen und knüpft an den Topos der anonymen Großstadt an. Das wäre billig, bliebe es so eindimensional. Doch die Schutzlosigkeit und Kälte wird durch Schutzräume unterbrochen, die nicht nur Wärme, sondern auch Musik und Freundschaft beinhalten. Auf diese Weise löst sich die Schutzlosigkeit und das gesichtslose Alleinsein nicht auf – aber es wird letztlich geteilt.
Und somit entwickelt die narrative und bildnerische Dualität des städtischen Raumes als Ort des Anonymen und des zweisamen Entdeckens einen hochkomplexen und gleichzeitig so simplen existentialistischen Blick auf das Alleinsein eines Kindes im Angesicht des Verlustes. Ein Verlust, der nicht überwunden wird, wie so mancher Verlust im Leben eben nie geschlossen werden kann. Aber die Lücke kann durch Hoffnung und Vertrauen überbrückt werden.
Kann man eine Entwicklung des Kindseins zur eigenen Person behutsamer und ehrlicher beschreiben? „Unsichtbar durch die große Stadt“ legt die Messlatte hoch, dies zu erreichen. Zum Schluss ist aber nicht die Messlatte entscheidend, sondern das Sprechen von Alleinsein und Trost, von Verlust und Hoffnung als Teil von Kindheit und Ich-Werdung. Sydney Smith gibt dem eine wunderschöne vielklingende Stimme.

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von AHM; Landesstelle: Hamburg.
Veröffentlicht am 01.02.2021

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