Tochter der Krokodile

Schlagwörter

• Emanzipation
• Kulturen

Teaser

Delphine hat ihr kleines Heimatdorf in Afrika vor fünf Jahren verlassen, um in Frankreich ein neues Leben zu beginnen. Ihre beiden Töchter musste sie auf diesem schweren Weg zurücklassen. Mittlerweile hat sie eine Arbeitserlaubnis, unterstützt das gesamte Dorf mit ihrem Geld und will nun bald zu Besuch kommen. Ihre kleine Tochter Fanta kann sich an die Mutter kaum erinnern und fürchtet nun, ihr Dorf verlassen zu müssen. Zwei Welten stoßen aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Beurteilungstext

Mit viel Einfühlungsvermögen schildert die Autorin den afrikanischen Alltag der Menschen in einem kleinen Dorf namens Nanou. Dabei zeigt sie am Beispiel der kleinen Fanta und ihrer Dorfgemeinschaft die harten Lebensbedingungen, den täglichen Kampf ums Überleben ebenso wie den Zusammenhalt der Menschen, ihren Glauben und ihre Rituale, die Idylle der Landschaft und den unbändigen Lebensmut. Die Autorin lässt ihren Leser in eine völlig neue Welt eintauchen, lässt ihn dabei aber nicht allein, sondern schafft es, zum größten Teil wertungsfrei, die unbekannten und bisweilen befremdlichen Lebensgewohnheiten der afrikanischen Dorfbewohner zu erklären oder zumindest verständlich zu machen. Heikle Themen, wie z.B. die Beschneidung der Mädchen oder die Zwangsehe bleiben hier nicht außen vor. Mit sensiblem Einfühlungsvermögen versucht die Autorin dem jugendlichen Leser auf der einen Seite die Handlungsweisen der Menschen näher zu bringen und ein Verständnis hervorzurufen auf der anderen Seite gelingt es ihr aber am Beispiel von Fantas modern denkenden Großmutter die Gefahren und Unmenschlichkeiten dieser Praktiken aufzuzeigen. Die Großmutter muss denn auch mit der Missbilligung der Dorfbewohner leben, da sie entscheidet ihre Enkelin nicht beschneiden zu lassen.
Im gesamten Roman ist die afrikanische Wirklichkeit aber keine isolierte, völlig abgeschottete Welt. Vielmehr spürt der Leser die Einflüsse der modernen Zivilisation. So besitzt die Großmutter ein Handy durch das sie mit der Tochter in Frankreich telefonieren kann. Der Onkel legt den weiten Weg zur Stadt mit einem Moped zurück, die Nachrichten der Welt erreichen die Gemeinschaft über einen kleinen Schwarz-Weiß-Fernseher und Fanta trägt stolz einen Jeansrock, den ihre Mutter ihr geschickt hat. Diese großzügigen Geschenke der Auswanderin halten das Dorf am Leben, besonders ihre Spende zur Reparatur des Brunnens trägt hierzu bei. Somit präsentiert der Roman gleichzeitig die Vermischung zweier völlig verschiedener Wirklichkeiten und den Kampf der Einwohner um ihre Rituale, ihren Glauben und ihre Identität. Als die Auswanderin schließlich heimkehrt und sich vor die Frage gestellt sieht, ihre kleine Tochter mit nach Frankreich zu nehmen, findet dieser Kampf einen Höhepunkt. Hat die Tochter überhaupt eine Zukunftsaussicht, wenn sie in Afrika bleibt? Ist es da nicht die Pflicht der Mutter ihre Tochter mit zu nehmen in die vermeidlich rettende Großstadt im anderen Kontinent? Oder ist es viel mehr eine brutale Entwurzelung, ein Unrecht gegen die Seele ihrer Tochter?
Die Entscheidung bedeutet eine Trennung und ist ebenso schmerzlich, wie befreiend. Ein wunderbares Buch, das einen kleinen Einblick in eine fremde Kultur erlaubt und den Leser ihren unschätzbaren Wert erahnen lässt.