Tochter der Krokodile

Schlagwörter

• Familie
• Gender/Geschlecht
• Kulturen

Teaser

Die 10-jährige Tochter einer nach Paris ausgewanderten jungen Frau aus Burkina Faso lebt in völliger Eintracht mit ihrer Großmutter auf dem Dorf. Diese starke Frau verhindert erfolgreich, dass das Mädchen und ihre Schwester beschnitten werden und bildet das Rückgrat des Lebens auf dem Lande. Die neue Zeit aber zeigt sich allerorten, ganz wichtig ist für alle Kinder die Schule, sie träumen von einer Zukunft in der Provinz- oder der Landeshauptstadt, vielleicht sogar in Europa.

Beurteilungstext

Fanta ist ein glückliches Mädchen, das in der scheinbar intakten Welt eines Dorfes irgendwo in Burkina Faso lebt. Sie fühlt sich geborgen im Zusammenleben mit ihrer Großmutter, ihrer Schwester und den Cousinen. Bald aber sieht der Leser, dass diese Welt im Umbruch ist: die Mutter lebt illegal in Paris, arbeitet und unterstützt ihre Familie in Afrika kräftig. Ohne dieses Geld könnte die ganze Familie kaum noch leben. Alle rechnen damit, irgendwann in die Hauptstadt zu kommen, am besten nach Paris, um dort eine Existenz aufzubauen. Keines der jungen Mädchen und Jungen hat die geringste Vorstellung davon, mit welchen Schwierigkeiten das Leben in Europa verbunden ist. Die Zukunft als Lehrer oder gar Arzt ist zu verlockend, da fruchten auch die Ermahnungen der in Paris lebenden Delphine nichts.
Im Dorf selbst ist das Leben auch nicht mehr konfliktlos. Eines Tages kommt die Beschneiderin, und nur die Standfestigkeit von Fantas Großmutter bewahrt sie davor, sich beschneiden zu lassen. Der Druck der Dorfmoral ist extrem groß, er hemmt auch anderwärts jede Entwicklung: Das haben wir schon immer so gemacht, und wenn ihr jetzt was ändern wollt, wer weiß, ob die Krokodilahnen uns nicht zürnen und das Dorf / die Ernte / das Leben / dich / uns vernichten werden? Auch die selbstbewusste Großmutter glaubt an die Bedeutung von Träumen, sie deutet oder lässt deuten, was sie oder ihre Enkelinnen träumen. Selbstverständlich hat das auch eine erhebliche Auswirkung auf ihr Verhalten, auf ihre Erwartungen. Alle Bewohner des Dorfes leben noch in dieser Welt der Mystik. Das ist nicht ohne Gefahren, wenn sie, als der wenige Jahre alte Brunnen des Dorfes versiegt, nicht die versagende Technik, sondern die “ungereinigten Mädchen”, das sind die nicht beschnittenen, oder die Ausreißer, die Jungen, die innerhalb des Dorfes keine Zukunft für sich sehen, dafür verantwortlich machen. Völlig unbesorgt aber nehmen sie die Hilfe Delphines an, die aus Paris - auch sie ist ja eine Ausreißerin, immerhin hat sie es geschafft, einen legalen Status zu erreichen - das angeforderte Geld schickt, in Paris könne man ja jederzeit jedes Geld bekommen, das man haben wolle, um den Brunnen zu reparieren.
Mit ihrer einfachen und klaren Sprache nimmt die Autorin ihre Leser mitten in das Dorfleben des Burkina Faso des 21. Jahrhunderts. Noch sind die Dorfbewohner tief in den alten Ritualen und Mythen verwurzelt, aber der Aufbruch in die neue Zeit ist allgegenwärtig. Die Kinder gehen ganz selbstverständlich zur Schule, der Lehrer ist ein aufgeklärter Vertreter der neuen Zeit, Verwandte leben in allen Teilen der Welt. Nicht alle sind so ehrfürchtig und rücksichtsvoll-bescheiden wie Delphine, als sie, reich mit Geschenken beladen, für kurze Zeit das Dorf ihrer Ahnen besucht. Aber sie träumt und deutet den Traum so, dass ihre Tochter Fanta noch nicht reif für die Fremde ist und lässt sie zurück in der für Fanta noch heilen Welt.