Thalamus

Autor*in
Poznanski, Ursula
ISBN
978-3-7432-0686-1
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
448
Verlag
Loewe
Gattung
Erzählung/RomanTaschenbuch
Ort
Bindlach
Jahr
2020
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
9,95 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Teaser

Wenn nachts im Markwaldhof die Lichter ausgehen, beginnt ein Leben, in dem die Patient*innen des Rehabilitationszentrums Dinge tun können, die sie eigentlich nicht können dürften. „Thalamus“ ist ein äußerst gelungener medizinischer Psychothriller, der die Grenzen zwischen Realität und Fantasie ins Wanken versetzt. Immer wieder werden sich die Lesenden fragen: Wie kann das sein?

Beurteilungstext

Auf dem Weg zu seiner Freundin hat der 17-jährige Timo mit seinem Motorscooter einen folgenschweren Unfall. Timo erleidet mehrere Knochenbrüche und ein schweres Schädel-Hirn-Traum. Er muss operiert werden und dabei seine Schädeldecke geöffnet werden. Die Operation verläuft so gut, dass er bereits nach einer Woche aus dem künstlichen Koma geweckt werden kann. Timo wacht in einer für ihn veränderten Welt auf. Er leidet an schweren neurologischen Folgeschäden und kann weder lesen noch schreiben. Niemand sagt, was mit ihm passiert ist. Der Arzt, der ihn operiert hat, schlägt nach wenigen Wochen vor, ihn in ein weit entferntes Rehabilitationszentrum zu verlegen, das aktuell sensationelle medizinische Ergebnisse in der Behandlung von Traumapatient*innen erziele. Timo stimmt zu, er will einfach nur gesund werden. Seine Zeit im Markwaldhof beginnt und mit dem Wechsel des Schauplatzes eröffnet sich den Lesenden ein medizinischer Psychothriller der Extraklasse.

Der Jugendroman „Thalamus“ ist von einer der derzeit erfolgreichsten deutschsprachigen Jugendbuchautorinnen geschrieben: Ursula Poznanski. Das Jugendbuch ist bereits 2018 im Loewe Verlag erschienen und ist seit 2020 auch als Taschenbuch erhältlich.

Bereits an seinem ersten Tag im Markwaldhof lernt Timo einen weiteren Patienten kennen: Carl mit C, zu dem sich eine innige Freundschaft entwickelt. Obwohl Timo nicht sprechen kann, scheint Carl ihn zu verstehen. Carl ist es auch, der Timo das Leben im Rehabilitationszentrum erleichtert. Er zeigt ihm das ganze Gelände, fährt Timo in seinem Rollstuhl spazieren und stellt ihm viele weitere Patent*innen vor.
Timo teilt sich im Markwaldhof ein Zimmer mit Magnus, einem jungen Mann, der im Wachkoma liegt. Magnus muss täglich gefüttert werden und gibt keinen Laut von sich. Das stört Timo zunächst nicht, denn der Markwaldhof scheint der richtige Ort für ihn zu sein. Dort gibt es viele Menschen, denen es ähnlich wie ihm geht. Zudem kann er dort spezielle Ergotherapie und Logopädie erhalten, so dass die Hoffnung in ihm keimt, dass er schon bald wieder nach Hause kann und gesund ist. Voller Freude schläft Timo am ersten Abend im Markwaldhof ein...
Mitten in der Nacht steht plötzlich sein Zimmernachbar Magnus an seinem Bett, der ihm droht, dass er ihn mit einem Kissen erwürgen würde, wenn er erzählt, dass er sich bewegen kann. Wie kann es sein, dass Magnus plötzlich neben Timo steht? Träumt Timo?
Aber auch in der nächsten Nacht ist Magnus‘ Bett leer. Was geschieht hier?

Timo macht in wenigen Tagen große Fortschritte und möchte den anderen Patient*innen mitteilen, dass Magnus nicht im Wachkoma liegt und eine Gefahr für ihn darstellt. Nur ... er kann nicht. Als es ihm dann aber doch gelingt, Carl per Computer davon zu berichten, glaubt dieser ihm nicht. Timo halluziniert. Das kann passieren, wenn man ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erlitten hat. Noch unfassbarer wird Timos Leben jedoch, als er nachts nicht mehr in seinem Bett, sondern immer wieder an anderen Orten des Markwaldhofs aufwacht. Er scheint zu schlafwandeln. Doch wie kann es sein, dass er sich in der Nacht so gut bewegen kann und tagsüber einen Rollstuhl benötigt? Und dann fängt er auch noch an, eine Stimme in seinem Kopf zu hören, die ihm rätselhafte Worte zuspricht.

Es entwickelt sich eine spannende Geschichte, in dessen Verlauf es Timo gelingt, in den Nächten Nachforschungen anzustellen. Was hat es damit auf sich, dass sich auch andere Patient*innen nachts scheinbar mühelos bewegen können, und dass in einem anderen Flügel des Markwaldhofs ein mysteriöser Patient liegt, der sogar seine persönliche Krankenschwester hat? Und wieso kann Timo plötzlich nur mit seinen Gedanken den Fahrstuhl kontrollieren?

„Thalamus“ erzählt eine unfassbare Geschichte. Lesende werden sich immer wieder fragen: Wie kann das sein? Und wenn sie eine Antwort erahnen, öffnet sich bereits die nächste Unfassbarkeit. Ursula Poznanski gelingt es durch äußerst gelungene medizinische Recherchearbeit eine Welt zu schaffen, in der es den Lesenden schwer fallen wird, zwischen Realität und Fantasie zu unterscheiden. Genauso wie sich Timo unsicher ist, wie es sein kann, dass sich all diese Momente ereignen, so sind sich vermutlich auch die Lesenden unsicher, wie zuverlässig das Erzählte ist: Träumt Timo nun oder nicht? Halluziniert Timo jetzt wirklich oder sind die Stimmen, die er hört, real? Insbesondere Poznanskis Coup, dass Timo im Handlungsverlauf zwar immer mehr der Ereignisse zu verstehen scheint, sich aber nicht verständigen kann, löst ungemeine Spannung aus. Zugleich schafft es die Erzählung den Rezipierenden ein Bewusstsein dafür zu eröffnen, wie es für Timo ist, nicht sprechen zu können und wie es für einen Menschen im Allgemeinen sein kann, in seinem eigenem Körper gefesselt zu sein und sich für seine eigenen Sprechversuche selbst zu hassen. Durch Timos innere Monologe können die Rezipierenden dabei seine Gedanken mitfühlen und mitleiden, wobei die Rezipierenden durch die meist intern fokalisierte Er-Erzählung nie mehr als Timo wissen, sondern vielmehr miterleben, wie er sich die Welt Kapitel für Kapitel immer mehr erschließt. Es wird klar: Nur Timo kann das Rätsel um den Markwaldhof lösen und muss sich dabei auch gegen Patient*innen wehren, von denen er eigentlich gedacht hatte, dass sie seine Freund*innen wären. Jedes gelesene Kapitel sorgt dabei für neue Überraschungen, bis sich am Ende die Ereignisse dann völlig überschlagen.

Ursula Poznanski ist wieder ein atemberaubender Jugendroman gelungen, der in die Fiktion medizinischer Forschung eintaucht, wenngleich aus der Fiktion schon in wenigen Jahren Realität werden kann, wie die Autorin im Nachwort erklärt, das zu weiteren Recherchen einlädt. So ist hervorzuheben, dass der Roman neben der Handlung auch ethische Fragen der Ambivalenz medizinischer Forschung anspricht.

Sascha Wittmer

Für namentlich oder mit Namenskürzel gekennzeichnete Beiträge und Beurteilungen liegt die presserechtliche Verantwortung beim jeweiligen Autor bzw. bei der jeweiligen Autorin.

Diese Rezension wurde verfasst von Sascha Wittmer; Landesstelle: Rheinland-Pfalz.
Veröffentlicht am 18.04.2020

Weitere Rezensionen zu Büchern von Poznanski, Ursula

Poznanski, Ursula

Pauline Pechfee

Weiterlesen
Poznanski, Ursula

Pauline Pechfee

Weiterlesen
Poznanski, Ursula

Oracle

Weiterlesen
Poznanski, Ursula

Clara sammelt

Weiterlesen
Poznanski, Ursula

Eleria. Die Vernichteten

Weiterlesen
Poznanski, Ursula

Eleria. Die Verschworenen

Weiterlesen