Spinster Grils - Was ist schon normal

Autor*in
Bourne, Holly
ISBN
978-3-423-71797-7
Übersetzer*in
Frey, Nina
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
416
Verlag
dtv
Gattung
Erzählung/RomanTaschenbuch
Ort
München
Jahr
2018
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Preis
10,95 €
Bewertung
empfehlenswert

Teaser

Evie hat zwei Jahre ‚Leben am Limit‘ hinter sich. Sie leidet unter einer Zwangsstörung und ist – nach einem langen Aufenthalt in der geschlossenen Psychiatrie – nun auf einem positiven Weg zurück in die ‚Normalität. Der Wechsel aufs College soll einen Neuanfang darstellen. Wird sie ihn schaffen?

Beurteilungstext

Der englische Originaltitel „Am I normal yet?“ trifft wesentlich deutlicher die Thematik des Buches als die deutsche Übersetzung. Denn es geht nicht um die allgemeine Definition des ‚Normalen‘, sondern um das Bemühen der sechzehnjährigen Evelyn, Evie genannt, die seit der 9. Klasse unter Waschzwang leidet, wieder in den Kreis der Gleichaltrigen aufgenommen zu werden, ohne als Mädchen abgestempelt zu werden, „das ‚plötzlich irre‘ geworden war“ (S. 10). Die Krankheit hat tiefe Spuren hinterlassen, sowohl bei Evie – äußerlich und innerlich – als auch bei ihrer Familie und ihrer einzigen Freundin Jane. Ihre Eltern leben in ständiger Anspannung, dass Evie im Rahmen ihrer Medikamentenreduzierung einen Rückfall erleiden könne, und versuchen, Evies Krankheitssymptome vor der jüngeren Tochter, Rose, zu verstecken. Sie übersehen dabei, dass es auch Rose in der Schule nicht gut geht und diese extrem gemobbt wird.
Rose versteckt ihre emotionale Betroffenheit hinter einer Fassade des Verständnisses und intellektuellen Überlegenheit, genießt die psychischen Tiefpunkte ihrer Schwester, die ihr zur Entspannung den Rücken streichelt und die Haare krault – im Buch fällt der Begriff des Labradors (als sei Rose ein Therapiebegleithund). Evie verliert ihre langjährige und einzige Freundin Jane, die sich in den gleichaltrigen Joel, Mitglied einer Musikband, verliebt und ihre eigene Identität in dessen Machogehabe auflöst. Evie hat das Gefühl, nach zwei Jahren Lebensabstinenz die Pubertät und alle Liebeserfahrungen nachholen zu müssen. Alle drei Jungen, mit denen sie in einem Kurs zusammensitzt oder -arbeitet, werden zu potenziellen Freunden, denen sie sich gerne völlig hingibt, eigene Grenzen maßlos überschreitet und bewusst dabei ihre Krankheit außer Acht lässt. Während das Emotionale an Raum, Intensität und Risikobereitschaft überhand nimmt, wird ihre Medikamentierung reduziert. Evies langjährige Therapeutin Sarah stattet sie mit einem Genesungstagebuch und Sorgenblättern aus, um verfolgen zu können, was das Mädchen ‚bewegt‘ und wo Evie Unterstützung benötigt. Immer wieder weist sie auf die Gefahr eines Rückfalls hin, die mit dem Rückgang der Dosierung wächst, und ahnt, dass Evie ihr in den Sitzungen nur einen Teil der Wahrheit über ihr Befinden preisgibt. Diese erlebt in ihren Beziehungen immer wieder Niederschläge: Ethan, ihr erstes ‚Date‘ outet sich nach einem Seitensprung als sexsüchtig, Oli erscheint bei ihrem gemeinsamen Kinobesucht mit seinen Eltern und bekennt, dass auch er unter Zwangsstörungen leidet, Guy, vor dem ihre neuen Freundinnen Lottie und Amber heftigst warnen, löst letztendlich ihren totalen Zusammenbruch aus, weil er bekennt, dass er nur ein One-Night-Stand wolle, aber kein Interesse an ihr hätte.
Alle ‚unguten Gedanken‘, die Evie in den letzten Wochen hat verdrängen können, bestätigen sich, es gibt keinen Halt mehr und für Evie nur noch die Zerstörung ihre Ichs.
Der Leser begleitet die Protagonistin in beiden Phasen ihrer durch die Krankheit gespaltenen Persönlichkeit: Evie auf der Suche nach der Bestätigung als Frau, was sie klischeehaft mit Liebe ‚in allen Variationen‘ verbindet, und in ihren krankheitsbedingten Zweifeln über die gesundheitlichen und hygienischen Folgen eines solchen Tuns. Viele Fragen bleibt: Warum geht Evie nicht offen mit dieser Krankheit, die ihr Leben und das ihrer Familie völlig bestimmt, um? Warum soll sie als ‚geheilt‘ in die ‚Welt‘ entlassen werden, wenn sie die Krankheit noch nicht als solche akzeptiert hat? Wie konnte sie ohne schulische ‚Einschränkungen‘ die zurückliegenden Jahre bewältigen? Warum reagiert ihre Mutter auf den ersten und einzigen Besuch von Amber und Lottie so überdreht?
Wenn man Menschen kennt, die an dieser Krankheit leiden, und deren Mühe erlebt, den Alltag und Schulbesuch zu bewältigen, dann ist man über die im Buch deutlich abgemilderte Darstellung irritiert. Die zahlreichen Besuche in Mensa und Cafés, die körperlich engen Kontakte mit den Freundinnen und den drei Auserwählten passen wenig zum Krankheitsbild. Die Idee der drei entschlossen wirkenden Sechzehnjährigen, einen Spinster-Girls-Club zu gründen, ist – wenn man die Wortwahl der Argumentation betrachtet – eher einer älteren Mädchengruppe zuzuschreiben. Sie bietet gute Ideen, hätte sprachlich aber einfacher gehalten werden sollen bzw. können.
Insgesamt rüttelt das Thema des Buches auf, setzt aber nur teilweise um, was man sich als Leser verspricht. Ob es Empathie für die Betroffenen schafft, mag dahingestellt sein.

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Veröffentlicht am 15.08.2018

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