Schöne Khadija

Autor*in
Cross, Gillian
ISBN
978-3-414-82296-3
Übersetzer*in
Ohlsen, Tanja
Ori. Sprache
Englisch
Illustrator*in
Seitenanzahl
251
Verlag
Boje
Gattung
Ort
Köln
Jahr
2011
Lesealter
12-13 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Bücherei
Preis
12,99 €
Bewertung
sehr empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Khadija wird von ihrer somalischen Familie nach London geschmuggelt, um Geld zu verdienen, das ihnen fehlt. Ihre Verwandten nehmen sie als Tochter auf. Sie fällt einer Top-Modedesignerin auf, die sie für ihr großes Event engagieren will. Das bekommen Somalier mit, die ihren Bruder kidnappen und 10000 Dollar fordern. Das Event wird in Somalia gestartet, es kommt zum Show-Down.

Beurteilungstext

Titel und Cover schreckten mich wieder einmal ab, beide haben herzlich wenig mit dieser spannend und lebendig geschriebenen Geschichte zu tun (das Foto zeigt auch nicht unbedingt eine typische Somalia), die einerseits in der Modewelt des London des 21. Jahrhunderts spielt, zum anderen aber die Zerrissenheit zum Thema hat, in der die Migranten leben, die weder in der einen noch in der anderen Welt wirklich Zuhause sind. Das Switchen zwischen den Welten ist heute dank Internet kein Problem mehr, das Sich-Zurechtfinden aber unverändert.
Khadija wächst in dem anarchischen Somalia in einer Nomadenfamilie auf, findet es zwar nicht gut, nach London verfrachtet zu werden, aber sie nimmt das ziemlich emotionslos auf. Kein Mensch teilt ihr vor der Reise etwas mit, kein Widerspruch wird gehört - und das weiß sie auch. Auch ferner bleibt sie cool - für unsere Kinder mag das modisch sein, sich so zu geben, für sie ist das Überlebenskunst. Es lohnt sich einfach nicht, sich gegen etwas aufzulehnen, wenn man nichts daran verändern kann. Ihr Nennbruder Abdi, der in London geboren ist, lebt zwar in seiner Familie ungebrochen und übernimmt sofort die Großer-Bruder-Rolle für Khadija, erlebt aber Somalia als fremdes Land, in dem er sich Zuhause fühlen soll und muss, womit er sich aber nur bedingt abfinden kann. Erst als es brenzlig wird, reagiert er zwar unreflektiert, aber für seine Situation richtig und erlebt einen ungeheuren Schock. Er lernt daraus, benennt endlich Ross und Reiter und ermöglicht seiner Tante, den Schlussstrich unter eine sich in eine Katastrofe ausweitende Geschichte zu tun.
Die andere Hauptperson ist Sandy, eine Londoner Top-Modedesignerin von der Kategorie Vivienne Westwood & Co. Sie ist eine Monomanin par excellence, sie sieht nichts in der Welt außer ihren Ideen, ihrer Mode, ihren Vorstellungen von Event. Ihr Mann ist Pressefotograf gewesen, hat seinen Beruf gewechselt, weil er es Leid war, das Leid der Welt zu fotografieren und kennt sich aus, auch in Somalia. Sandy hat sich in den Kopf gesetzt, ihre Kollektion in Somalia auf den Laufsteg zu setzen und ist keinerlei Argumenten zugänglich, so dass Mann und Tochter mitreisen, um das Schlimmste zu verhindern.
Der Konflikt ist programmiert, das Show-Down endet für eine Partei kläglich, für die andere unbefriedigend und beunruhigend.
Erzählt wird diese Geschichte als Ich-Erzählung der drei Protagonisten Khadija (sehr nüchtern, reflektiert, eben cool - bis auf die Szenen, die von ihrem entführten Bruder handeln), ihrem Nenn-Bruder Abdi (cool tuend, aber nicht cool seiend, sich seiner Wichtigkeit bewusst werdend, als er zur Beschützerin Khadijas berufen wird, und erst recht, als er zum Mitorganisator der Somalia-Reise des riesigen Teams wird) und Freya, der Tochter des Modezarin und des Fotografen (temperamentvoll, nüchtern analysierend und sich voll engagierend), hinzu kommen noch auktorial berichtende Texte über die Entführung von Khadijas Bruders aus dessen Sicht.
Die einzelnen Erzählkomplexe überschneiden sich knapp und bieten eine lückenlose Geschichte. Die Unmittelbarkeit der unterschiedlichen Erzählweise macht die Lektüre unabhängig von der Handlung schon sehr spannend. Die Geheimniskrämerei aber ist das eigentliche Thema: Dass eine Modemacherin um ihre Kollektion ein großes Gewese macht und allen Strafe androht, die gegen das Veröffentlichungsverbot verstoßen, ist ja nachvollziehbar - besonders wenn man sieht, wie gekonnt diese Sandy mit der Presse spielt, gezielte Informationen heraus lässt und so ihr Publikum neugierig macht und auf den Knalleffekt der Show zielt. Aber Geheimniskrämerei kann auch quälend sein: Die Migrantenfamilie verdeckt hier und da, lässt keine Information heraus, verheimlicht hier etwas, dort etwas, keiner weiß alles, jeder vermutet, verdächtigt, wird misstrauisch - oder resigniert wie anfangs Khadija und entzieht sich durch Coolness. Das geht aber nur bedingt und eine der Mütter stellt sich am Ende gegen alle Konventionen, gegen die “Schande”, gegen die “Familienehre” und bricht das Schweigen, in dessen Namen die Verbrechen überhaupt erst möglich wurden.
Die egomane Modemacherin ist nur Vehikel für die Geschichte und ebenso originell wie glaubhaft beschrieben, das eigentliche Thema und das Drama ist aber der Spagat zwischen dem Anarcholand Somalia und dem Europa, in dem Khadijas Familie eben Fuß fasst. Alles aber ist fragil und das Leben am afrikanischen Horn ändert sich dadurch nicht.
Umso ärgerlicher finde ich die Verlagsentscheidung für ein in die Irre führendes Cover; der Originaltitel Where I Belong trifft den Inhalt viel deutlicher. cjh11.12

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Diese Rezension wurde verfasst von cjh.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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