Minik

Autor*in
Isau, Ralf
ISBN
978-3-551-35877-6
Übersetzer*in
Ori. Sprache
Illustrator*in
Seitenanzahl
592
Verlag
Carlsen
Gattung
Ort
Hamburg
Jahr
2010
Lesealter
14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
Einsatzmöglichkeiten
Fachliteratur
Preis
9,95 €
Bewertung
empfehlenswert

Schlagwörter

Teaser

Grönland 1897: Der 5-jährige Eskimojunge Minik wird gemeinsam mit 5 weiteren Eskimos vom Polarforscher Robert Peary aus ihrer Heimat nach New York mit genommen, um angeblich für ihren Stamm Reichtum und Ansehen zu erwerben. Der wahre Grund für ihre Verschleppung ist jedoch, dass die Grönländer in der Neuen Welt von berechnenden Wissenschaftlern als lebende Forschungsopjekte missbraucht werden sollen. Für Minik beginnen Jahre der Entwurzelung, Zerrissenheit und Verzweiflung...

Beurteilungstext

Aus der Perspektive Miniks gelingt dem Autor die nachhaltige Schilderung eines ebenso tragischen wie ungewöhnlichen Schicksals.
Schon der Erzähleinstieg ist schockierend: Der 16-jähige Minik entdeckt im berühmten Naturkundemuseum der Stadt New York ein Eskimo-Skelett - und bei diesem handelt es sich zweifellos um die Überreste von Mimiks Vater!
Diese Entdeckung gibt den Zweifeln, die Minik schon länger quälen, den entscheidenden Impuls, sich auf die Suche nach der Wahrheit zu begeben: Die Wahrheit um das eigenen Schicksal und das seiner fünf Stammesleute, die alle bereits kurz nach ihrer Ankunft in New York 10 Jahr zuvor unter mysteriösen Umständen gestorben sind und angeblich ehrenvoll begraben wurden. Bei seinen Nachforschungen muss Minik jedoch erfahren, dass nichts wirklich so ist wie es sich dargestellt hat.

Geschickt verwebt Ralf Isau die Gegenwartshandlung mit Rückblenden, in denen der Anfang dieser Geschichte erzählt wird und die in der heilen Welt Alaskas spielt, in die der Forscher Peary, von den Eskimos “der große Peiniger” genannt, immer wieder einbricht, um sich an den Schätzen dieses Landes zu bereichern. Umso verstörender entfaltet sich dann das Leben der Eskimos in New York, wo sie unter menschen- und vor allem Eskimo-unwürdigen Bedingungen gehalten und als fremdartige Attraktionen zur Schau gestellt werden.
Erstaunlich erscheint bei dieser Vorgeschichte die vollständige Amerikanisierung des 16jährigen Minik, der trotz lückenhafter Schulbildung ein ausgezeichnetes Englisch spricht, geschickt mit der Presse jongliert und seine Widersacher in die Enge treibt. Seine zur Schau getragene Coolness und sein sicheres Auftreten sind ebenfalls für dieses Alter überraschend frühreif.
Glaubwürdig wird wiederum das Zuspitzen der Krise geschildert, die schließlich zu Miniks Entschluss führt, in seine Heimat zurück zu kehren. Für den Leser eindrücklich nachvollziehbar ist der erneute Akklimatisierungsschock, dem Minik sich in dem ihm vollkommen fremd gewordenen Grönland ausgesetzt sieht: Mit den Sinnen eines Amerikaners nimmt er befremdet das Aussehen, den Geruch und das Verhalten seines Volkes wahr, das ihn ihn genauso erstaunlich und fremdartig findet.
Aber auch hier gelingt die Angleichung zu schnell und zu perfekt: Schon bald ist Minik einer der besten Jäger, der begehrtesten Liebhaber, der gefragtesten Freunde seines Stammes geworden. Deswegen überrascht es, dass ihn die Rastlosigkeit nach einigen Jahren zurück nach New York treibt.
Und auch hier gibt es erneut Unstimmigkeiten in der Erzählung: Obwohl Miniks allmähliches Entschwinden der englischen Sprache in Alaska eindrücklich geschildert wird, hat er in Amerika überhaupt keine Schwierigkeiten, direkt wieder an das hohe sprachliche Niveau seiner Zeit vor Grönland anzuknüpfen. Und auch in Bezug auf sein Verhalten, seine Einstellung und seine Absichten scheint es, als hätte es die fünf Jahre in Grönland überhaupt nicht gegeben.
Was bleibt, ist die Ruhelosigkeit, die Minik erneut weiter treibt. Endlich findet er bei den Baumfällern im Norden Amerikas den Lebensraum mit genau den Menschen, der ihm gemäß ist. Von daher erschüttert das Ende dieser Lebensgeschichte: Bereits im zweiten Winter wird Minik ein Opfer der spanischen Grippe und stirbt. Mit seinem Wunsch nach einem Grab mit weiter Aussicht unter eine Pyramide aus Steinen schließt sich der Kreis zum Anfang der Geschichte, dem Betrug um ein traditionelles Begräbnis an Miniks Vater.

Als gelungenes Leitmotiv durchzieht das “geronnene Nordlicht” die Lebensgeschichte des Eskomos Minik, eine Glasscherbe, die das schillernde Gefieder eines Pfaus zeigt. Sie wird zum Symbol seiner Heimatlosigkeit, seiner Einsamkeit und seiner Zerrissenheit.


Ralf Isau, der bislang vornehmlich für seine fantatischen Geschichten bekannt geworden ist, ist hier ein ergreifender Roman gelungen, in dem er die reale Gestalt des Eskimos Minik ein literarisches Denkmal gesetzt hat. Als ein Grenzgänger zwischen zwei Welten auf der Suche nach dem persönlichen Glück liefert die Hauptfigur viele identikationsmöglichkeiten für eine große Gruppe an Lesern. Darüber hinaus gewähren die gut recherchierten und anschaulich vermittelten Schilderungen des arktischen und des amerikanischen Lebens um 1900 interessante und wissenwerte Einblicke in eine Welt, die vielen von uns vorher so in diesen Aspekten noch nicht bekannt gewesen sein dürfte.

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Diese Rezension wurde verfasst von hit.
Veröffentlicht am 01.01.2010

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