Mein Leben - Auswahlband f.d. Schule, Hg. Volker Hage

Schlagwörter

• Historisches
• Nationalsozialismus

Teaser

Auszüge aus der Autobiografie des berühmten “Literaturpapstes”, beschränkt auf die Jahre 1933 bis 1945. Der junge Jude Marcel erlebt die Erniedrigungen des beginnenden “Dritten Reiches” in Berlin bis zum Abitur, wird nach Warschau deportiert und durchleidet das Warschauer Getto zusammen mit seiner Frau Tosia. Beide überleben durch Flucht und Versteck im Untergrund das Ende des Gettos und des Zweiten Weltkrieges.

Beurteilungstext

Früher las mancher gerne die “Reader’s Digest-Auswahlbände”. Da gab es bekannte Literatur in gekürzter und damit verbilligter Form. Ich habe diese Bücher gehasst, denn sie erschienen mir wie Skelette: Das Knochengerüst war noch da, aber das Fleisch fehlte. Hier liegt nun also wieder einmal ein “Auswahlband” vor, nur ein kleiner Teil der Lebenszeit Reich-Ranickis (die Nazizeit) ist hier beschrieben, auch das noch gekürzt (und wenigstens markiert) und in neue Rechtschreibung umgewandelt. Also ein “Stein des Anstoßes”? Einerseits ja, denn der große Bogen, der Zusammenhang erschließt sich nur schwer. Doch hier geht es ja nicht in erster Linie um eine “Discount”-Version. Zielrichtung der Ausgabe ist die Verwendung im Unterricht, sei es Deutsch oder Geschichte. Und man mag es bedauern - für den Durchschnittsschüler ist die “Kurz”-Ausgabe (immer noch 300 Seiten!) sicher leichter verdaulich.
Lassen wir eine grundlegende Rezeptionskritik einmal außen vor. In Zeiten von Viva und MTV ist die Aufmerksamkeit eher auf Kurzstrecke trainiert, fehlt häufig der historische, hier auch literarische Kontext als Vorbildung, ist die “Dragee”-Verpackung sicher als Appetitanreger sinnvoll. Diese Einschränkungen im Zusammenhang mit diesem Buch müssten eigentlich MRR kränken, sie tun seinem Buch auch Unrecht, denn es verdient langen Atem, intensive Aufmerksamkeit und gedankliche Weiterführung. Doch - das hier angesprochene Publikum ist vielleicht nicht so. Den Schülern (und, seien wir ehrlich, auch manchen Lehrern) wird es helfen, dass der Umfang überschaubar gemacht wurde, es wird ihnen auch helfen, dass beinahe jedes zeittypische Wort oder jede Erwähnung von Literatur erklärt und kommentiert wird (über die Gründe dieser Sinnhaftigkeit mag man gar nicht spekulieren).
Und es bleibt eine kleine Hoffnung: Dass nämlich die Leser sich zu interessieren beginnen für die zahlreichen Zitate, Andeutungen und Auslassungen. MRR schreibt selbst von seiner pubertätstypischen Suche nach “Stellen” in Büchern, die seine Fantasie anregten - vielleicht geschieht Ähnliches auch heute noch, vielleicht kommt der Eine oder die Andere auf die Idee, mehr wissen zu wollen, weiter zu lesen und zu suchen. Anregung dazu gibt es hier genug.
Wer sich also bereits für Reich-Ranicki und sein Leben interessiert, sollte sich gleich dem Original zuwenden. Als Einstieg aber, gerade für den angesprochenen schulischen Bereich, ist eine solche Ausgabe sinnvoll und erfreulich. Dass das Buch im Original selbst ein wichtiges, ergreifendes und lehrreiches Werk ist, bedarf kaum der ausdrücklichen Erwähnung. Doch liegen ausführliche Rezensionen des Werkes mehrfach vor, hier soll es nur um die vorliegende Ausgabe gehen - und die kann nur auf’s Wärmste empfohlen werden.