Mein Bruder heisst Jessica
- Autor*in
- Boyne, John
- ISBN
- 978-3-7373-4219-3
- Übersetzer*in
- Zöfel, Adelheid
- Ori. Sprache
- Englisch
- Illustrator*in
- –
- Seitenanzahl
- 250
- Verlag
- FISCHER KJB Sauerländer Duden
- Gattung
- Erzählung/Roman
- Ort
- Frankfurt am Main
- Jahr
- 2020
- Lesealter
- 12-13 Jahre14-15 Jahre16-17 Jahreab 18 Jahre
- Einsatzmöglichkeiten
- Freizeitlektüre
- Preis
- 14,00 €
- Bewertung
Schlagwörter
Teaser
Sams Bruder hat ein Geheimnis: Er ist im falschen Körper geboren worden. Man sollte besser von "ihr" und von Sams "Schwester" schreiben. Der Roman erzählt aus Sams Perspektive von der Überforderung der gesamten Familie.
Beurteilungstext
Sam ist aus besserem Hause. Seine Mutter will britische Premierministerin werden. Da kommen ihr die Probleme um Sams Schwester Jessica, einem trans Mädchen, ungelegen. Offenbar gehört die Mutter zu den Tories. Sam sprengt die entscheidende Pressekonferenz und bekennt sich mit den titelgebenden Worten "Mein Bruder heißt Jessica" zum Gender seiner Schwester. "Sie ist meine Schwester. Meine Schwester Jessica."
Der Autor beweist mit flotten Dialogen, wie gut er schreiben kann. Politische Sensibilität scheint ihm jedoch zu fehlen. Schon bei "Der Junge im gestreiften Pyjama" kritisierten Betroffene die literarische Verhandlung. Das gilt auch für "Mein Bruder heisst Jessica". Das ständige Misgendern, welches sogar den Titel bildet, wird von trans Menschen äußerst kritisch gesehen. Gewiss ist nicht nur die Betroffenenperspektive erzählenswert. Gewiss sollte auch die Herausforderungen der Mitmenschen berichtet werden. Doch auch hier weiß der Roman nicht so recht, was er will. Sams Familie lebt schlimmer als jede*r Instagram-Influencer*in in einer Scheinwelt, die nur auf die Außenwirkung ihres Daseins bedacht ist. Jessica wird von einem Familienmitglied, Tante Rose, an die Hand genommen. Tante Rose ist die genderaffirmative Hippiefrau, die mit dem Pferd durch die Stadt reitet. Mit solchen Holzschnittfiguren lässt sich meines Erachtens kein komplexes Thema bearbeiten. Als Leser werde ich auf gefühlt 80% der Seiten des Romans mit Ressentiments und transphoben Äußerungen konfrontiert, die aber nur unzureichend aufgelöst oder kritisiert werden. Eine wirkliche Auseinandersetzung findet weder in der literarischen Darstellung noch in Sams Familie statt. Die Mutter kommt zu ihrer späten Einsicht wie die Jungfrau zum Kind. Alles in allem handelt es sich um eine triviale Verhandlung eines ganz und gar nicht trivialen Themas. Literaturdidaktisches Potential sehe ich vor allem bei der Arbeit mit Rezensionen. So könnte man diskutieren, warum viele trans Menschen das Buch verteufeln, während in anderen Rezensionen (vermutlich von Nichtbetroffenen) davon geschwärmt wird - so auch von Accounts der Ajum Thüringen und Ajum Sachsen-Anhalt oder in Rezensionen auf amazon. Das Buch ist meines Erachtens ungeeignet für eine unbegleitete Lektüre. Ein Autor, der das Konzept "cis-Männlichkeit" nicht verstehen kann oder will, sollte nicht als einzige Quelle zu genau dieser Thematik herangezogen werden. Da helfen auch keine unzureichenden Lippenbekenntnisse im Nachwort.